Die Wahrheit der letzten Stunde
geboren hat.«
»Hör doch auf«, meint Yvonne verächtlich. »Der Rekord liegt bei dieser Frau aus Florida.«
Ian ist auch nicht besonders begeistert von der Geschichte. »Hast du was Besseres?«
»Kreise in Weizenfeldern in Iowa.«
»Mit so etwas will ich nichts zu tun haben. Es ist etwas völlig anderes, an Gott zu glauben oder an Außerirdische. Wanda?«
»Es wurde eine sonderbare Lichtquelle auf dem Grund eines Brunnens in Montana entdeckt.«
»Klingt nach radioaktivem Müll. Sonst noch was?«
»Ja, da ist tatsächlich noch was. In Boston hat es einige Aufregung gegeben auf einem Psychiater-Kongress.«
Ian grinst. »Aufregung und Psychiater-Kongress … Ich dachte, diese beiden Begriffe würden sich per se ausschließen.«
»Ja, ich weiß. Offenbar hat eine Ärztin die These aufgeworfen, dass eine Halluzination, wenn sie nicht widerlegt werden kann, möglicherweise real sein könnte.«
»Ein Seelenklempner ganz nach meinem Geschmack. Um was für Halluzinationen geht es denn genau?«
»Die Psychiaterin hat eine Patientin - ein kleines Mädchen -, von der sie glaubt, sie würde möglicherweise Gott sehen.«
Ians Körper beginnt zu vibrieren wie eine Hochspannungsleitung. »Tatsächlich? Wer ist das Mädchen?«
»Das weiß ich nicht. Psychiater nennen auf diesen Symposien keine Namen. Sie sprechen nur von anonymen Patienten.« Wanda kramt in ihrer Jeanstasche. »Ich habe mir den Namen der Psychiaterin aufgeschrieben«, sagt sie und reicht Ian einen Zettel.
»Miss Mary Margaret Keller«, liest Ian. »Konnte eine Halluzination nicht widerlegen, ja? Wahrscheinlich hat sie das Mädchen von fünfzig anderen ihres Schlages untersuchen lassen. Was sie braucht, ist jemand wie ich.«
Als es an der Tür klopft, blickt Rabbi Weissman von seinen Büchern auf. Stöhnend sieht er, dass es schon zehn Uhr ist. Zeit für eine weitere Eheberatungssitzung mit den Rothmans.
Einen flüchtigen Moment lang erwägt er, so zu tun, als wäre er nicht da. Nichts ist ihm so verhasst, wie dazusitzen und mit anzuhören, wie die Rothmans sich ein so explosives Wortgefecht liefern, dass er fürchten muss, ins Kreuzfeuer zu geraten. Ihm ist die Aufgabe des Rabbi wohl bewusst, Mitgliedern seiner Gemeinde in jeder Lebenslage helfend zur Seite zu stehen, aber das? Eheberatung? Der Rabbi schüttelt den Kopf. Bei den Rothmans erinnert das Ganze mehr an Schießübungen.
Mit einem Seufzer setzt Rabbi Weissman ein starres Lächeln auf und öffnet die Tür zu seinem Büro. Seine Augen weiten sich; der Anblick von Eve und Herb Rothman, die sich draußen auf dem Flur zärtlich küssen, verschlägt ihm die Sprache.
Mit einem Schwall verlegener Entschuldigungen lösen sie sich voneinander. Ungläubig sieht Rabbi Weissman zu, wie das Paar zwei Stühle näher zusammenrückt, bevor es Platz nimmt. Das kann doch unmöglich derselbe Mann sein, der erst in der vergangenen Woche seine Frau als berechnende Kuh beschimpft hat, deren einziger Lebensinhalt darin bestehe, sein hartverdientes Geld aus dem Fenster zu werfen. Und das kann nicht die Frau sein, die noch in der vergangenen Woche erklärt hat, dass sie ihrem Mann, wenn er das nächste Mal wie ein ganzer Harem stinkend nach Hause käme, mitten in der Nacht den Bajtsim abschneiden würde. »Nun?«, sagt er, eine Braue fragend hochgezogen.
Eves Finger drücken jene ihres Mannes. »Ich weiß«, sagt sie schüchtern. »Ist es nicht wunderbar?«
»Es ist mehr als wunderbar«, bekräftigt Herb. »Es ist ja nicht so, dass wir Sie nicht gern hätten, Rabbi, aber Evie und ich werden Ihre Hilfe künftig nicht mehr brauchen.«
Rabbi Weissman lächelt. »Diese Art von Zurückweisung gefällt mir. Was hat denn diesen Sinneswandel bewirkt?«
»Nichts Bestimmtes«, gibt Eve zu. »Ich habe nur plötzlich angefangen, anders zu empfinden.«
»Und ich ebenfalls«, meint Herb.
Soweit der Rabbi sich erinnert, musste er die Ehegatten bei ihrem letzten Besuch trennen wie zwei Preisboxer, um zu verhindern, dass sie sich Gewalt antaten. Die Rothmans plaudern noch ein paar Minuten, wünschen dann dem Rabbi alles Gute und verlassen das Büro. Rabbi Weissman blickt ihnen kopfschüttelnd nach. Da hatte zweifellos Gott seine Hand im Spiel. Er hätte gewettet, dass der Bruch in der Ehe der Rothmans nicht mehr zu kitten war.
Ganz sicher hatte nichts, was er gesagt hatte, diese unerwartete Wende herbeigeführt - ein Durchbruch in diesem Fall wäre ihm sicher nicht entgangen. Er hätte ihn sich notiert, rot im
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