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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sagt Mariah leise.
    »Natürlich. Tun Sie das. Und … ich bitte nochmals um Entschuldigung.«
    Sie greift nach den zerwühlten Laken auf dem Fußboden, schüttelt sie aus, und sie sinken auf einer Luftwolke ganz sacht auf seinen Schoß. Dann greift sie nach dem mit Satin eingefassten Saum der Wolldecke und breitet auch die über ihn. Eine schlichte, instinktive Geste, eine Routine, die jede Mutter im Schlaf ausführt, und doch hält Ian die Luft an, bis sie vom Sofa zurücktritt, aus Angst, er könne den Bann brechen.
    »Gute Nacht, Ian«, sagt sie, und er nickt stumm, da es ihm die Sprache verschlagen hat. Er beobachtet die anmutigen schmalen Wölbungen ihrer nackten Fersen, als sie barfuß nach nebenan zurückgeht, sieht zu, wie sie die Tür hinter sich zuzieht. Dann greift er nach Kugelschreiber und Block und lächelt, als ihm bewusst wird, dass Mariah White ihn zum ersten Mal mit Vornamen angesprochen hat.
     
    New Canaan, New Hampshire
     
    Millie dreht langsam durch. Es wäre doch sicher nicht zu viel verlangt gewesen, dass Mariah sie von einer Telefonzelle aus anruft, um ihr kurz zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Sie hat sich an ihren Teil der Abmachung gehalten - sie hat den Wagen nach Hause gefahren und sich um das Haus gekümmert, aber sie weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihre List auffliegt. Jeder hat sie allein aus dem Wagen steigen sehen. Früher oder später werden die Leute anfangen Fragen zu stellen, wenn Faith und Mariah nicht wieder auftauchen.
    Millie steigt aus dem Bett, zieht den Vorhang zurück und blickt auf die kleinen Lagerfeuer und Scheinwerfer der Kameraleute. Bildet sie sich das nur ein, oder hat sich ihre Zahl inzwischen fast verdoppelt?
    Millie weiß, dass Hollywood Tonight! noch da ist; im Gegensatz zu anderen Fernsehreportern, die bei einer Übertragung mit drei bis vier Leuten arbeiten, hat Petra Saganoff offenbar acht bis zehn nötig. Sie hat extra Beleuchter und Visagisten und Männer, die Geräte herumschleppen, die zu Gott weiß was gut sind. Millie für ihren Teil könnte gut auf Petra Saganoff verzichten. Wenn schon berichtet werden muss, dann zieht sie diesen Peter Jennings vor, in seiner Weste, die er immer trägt, wenn er live vor Ort berichtet.
    Es ist gut, dass Mariah und Faith weg sind. So wie es aussieht, werden sie bald einen zweiten Polizisten an der Auffahrt postieren müssen, um für Ordnung zu sorgen, Mariah war schon beunruhigt wegen einer Handvoll Leute; wie hätte sie erst auf das hier reagiert? Seufzend kehrt Millie zurück ins Bett. Sie knipst das Licht aus, schaltet es gleich darauf wieder ein und nimmt den Hörer des Telefons auf dem Nachttisch ab, um sich davon zu überzeugen, dass die Leitung nicht tot ist. Nur für alle Fälle.
     
    Lake Perry, Kansas - 20. Oktober 1999
     
    Zu Mariahs Überraschung bricht Ian schon kurz nach dem Frühstück auf. »Ich muss etwas für meinen Lebensunterhalt tun«, erklärt er, schnappt sich die Wagenschlüssel und geht mit steifen Schritten, so als könne er es nicht ertragen, auch nur eine Minute mehr in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Er hat seinen Albtraum mit keinem Wort erwähnt, und Mariah kommt zu dem Schluss, dass das der Grund ist für seine Flucht - Verlegenheit muss schwer zu ertragen sein für einen Mann wie ihn. »Wie kommt es eigentlich, dass er rumfahren darf?«, mault Faith. »Und wir müssen in dieser ekligen Hütte bleiben, wo es nichts zu tun gibt?«
    »Vielleicht gehen wir spazieren. Wir suchen ein Telefon und rufen Oma an.«
    Das weckt Faith’ Interesse. »Kommt sie dann her?«
    »Vielleicht bald. Im Moment muss sie noch auf das Haus aufpassen.«
    Faith gibt noch ein paar Frühstückszerealien in ihre Schüssel. »Es sind ganz viele Leute da, die auf das Haus aufpassen, da muss sie das doch nicht auch noch tun.«
    Mariah steht am Fenster, als Ian davonfährt. Er nimmt den Wagen, das stimmt, aber das würde sie nicht daran hindern, bis in die Stadt zu laufen, ein Taxi zu nehmen und sich zum Flughafen bringen zu lassen, um irgendwo anders hinzufliegen. Als er ihr seinen Schutz angeboten hatte, war sie davon ausgegangen, dass er trotz aller guten Absichten vor allem aus reiner Selbstsucht heraus handelte: Konnte es einen besseren Weg geben, Faith ganz aus der Nähe zu beobachten? Aber sie hatte sich gesagt, dass Ian nur so viel von Faith zu sehen bekommen würde, wie sie zuließ, und darum hatte sie eingewilligt. Sie hatte fest damit gerechnet, dass er an ihr und Faith kleben würde

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