Die Wahrheit des Alligators
Hals in der Scheiße. Und das ist alles nur deine Schuld. Und sag bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Aber von jetzt an wird es so gemacht, wie ich sage. Du bist gut im Verhandeln, das ist deine Spezialität, aber Kriegführung mit Bullen und Gangstern, das ist meine Sache.«
»Schon gut, schon gut. Was hast du vor?«
»Ich will herausfinden, ob Sartori dich schon identifiziert hat. Um das rauszubekommen, brauchen wir bloß eine Runde durch die Lokale zu drehen, in denen du gewöhnlich verkehrst.«
»Gute Idee«, stimmte ich begeistert zu. Ich bekam nämlich schon Depressionen beim Gedanken, wer weiß wie lang in diesem Bau hocken bleiben zu müssen. »Aber«, bemerkte ich, »das reicht nicht, Benjamino. Ich brauche die Prozeßakten im Mordfall Evelina Mocellin Bianchini.«
»Barbara Foscarini?«
»Sie ist die einzige, die sie uns geben kann.«
»Vor drei Tagen haben wir sie verabschiedet, Marco.«
»Ich weiß, aber wir haben keine andere Wahl. Ich bin sicher, aus diesen Unterlagen läßt sich ableiten, wen Sartori und Ventura gedeckt haben.«
»Also gehe ich hin. Warte hier auf mich.« Um mir die Wartezeit zu vertreiben, sah ich mich an meinem neuen Aufenthaltsort etwas genauer um, auch aus Neugier, wie wohl der Unterschlupf von Einbrechern aussieht. Die Küche war mit kunststoffbeschichteten, gelben Einbauschränken eingerichtet, Hocker und Stühle der einfachsten Art, mit Stahlrohrbeinen. Im Wohnzimmer ein leeres Bücherregal, ein Tisch und ein Sofa, die wirkten, als kämen sie vom Ausverkauf eines Möbellagers. An den Wänden hingen hier und da Porträts von Kindern mit traurigen Gesichtern, großen, hellen Augen und rosigen Wangen, auf denen stets eine Träne lief. Entschieden Kitsch. Um so mehr war ich überrascht, einen alten Geloso-Plattenspieler zu finden, samt einer bescheidenen Sammlung von Platten von Mina. Die wollte ich mir aber nicht anhören. Eine Stunde später war Benjamino zurück. »Die Anwältin war nicht da, aber es ist mir trotzdem gelungen, mir von der Sekretärin die Akte geben zu lassen. Besser so, ich habe ein Treffen vermieden, auf das ich überhaupt nicht scharf war. Ich habe auch eine Flasche Wodka und eine Flasche Calvados mitgebracht.«
Letztere stellte ich neben Aktenordner, Zigaretten, Feuerzeug und Aschenbecher; ich machte mich auf mehrere Stunden Lektüre gefaßt. Ich begann beim Urteil.
Gegen Magagnin, Alberto, geboren in Saonara, Provinz Padua, ohne festen Wohnsitz, angeklagt des Verstoßes gegen die §§ 575, 577 Absatz 4 und 61, Absatz 1 und 4 des italienischen Strafgesetzbuches, da er wiederholt, mit Gewalt und aus niederen Beweggründen auf den Körper der Mocellin Bianchini, Evelina eingestochen hat und so deren Tod verursacht hat. Auf 62 Seiten erklärten die Richter, wie und weshalb sie dahin gelangt waren, eine Haftstrafe von achtzehn Jahren zu verhängen, und die Argumentation war über jeden Zweifel erhaben.
Der erste Teil trug den Titel Tatsachenerhebung und Prozeßverlauf.
Am 19. Juni 1976 drang ein Einsatzkommando der Quästur von Padua in das Haus Via Mascagni 129 ein, wo wenig zuvor die Leiche einer Frau aufgefunden worden war, die umgehend als Mocellin Bianchini, Evelina, identifiziert werden konnte, verheiratete Hausfrau, 46 Jahre alt und wohnhaft ebendort, aufgefunden im zweiten Stock des Einfamilienhauses, das im Besitz derselben …
Die Leiche wies zahlreiche Stichwunden auf und lag im vorderen linken Viertel des Schlafzimmers, den Kopf zur linken und die Füße zur (von der Tür aus gesehen) rechten Wand ausgestreckt.
Vor Abtransport der Leiche um 20 Uhr 45 wurde Professor Emilio Artoni zugezogen, dem später das gerichtsmedizinische Gutachten anvertraut wurde …
Am selben Abend gegen 22 Uhr nahmen Carabinieri-Soldaten Alberto Magagnin fest, da dieser in verwirrtem Zustand durch die öffentlichen Parkanlagen an der Piazza Garibaldi irrte. Sein Benehmen hatte die Patrouille vermuten lassen, er habe ein Übermaß an Rauschmitteln eingenommen. Als er in die Kaserne von Prato della Valle abgeführt wurde, stellte sich heraus, daß die Kleidungsstücke des Mannes blutbefleckt waren. Dazu befragt, gab Magagnin, wenn auch in unzusammenhängender Weise, an, er sei durch Einschlagen eines Fensters in ein Haus eingedrungen, das er für vorübergehend leerstehend gehalten hatte, eben jenes Haus in der Via Mascagni 129, um einen Einbruch durchzuführen. Auf der Suche nach Geld oder anderen Wertgegenständen sei er, berichtete er weiter, auf die
Weitere Kostenlose Bücher