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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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hatten ihm keine Fragen gestellt – weder zu seinen Verbrennungen noch zu seiner merkwürdigen Kopfbedeckung.
    Ab und zu warf er einen Blick hinaus in den Garten, wo Shinji und Hiroki zwischen den Salatbeeten hinter Cristal herrannten. Der Hund war ein Akita, eine der symbolträchtigsten Hunderassen Japans. Das Schauspiel erschien Passan als erster Sieg auf feindlichem Boden. Zumindest konnte er sicher sein, dass niemand hier über den Ernst der Lage Bescheid wusste. Selbst die Akutagawas wären einer solchen Krise nicht mit diesem Gleichmut begegnet. Naoko hatte nur kurz vorbeigeschaut, die Kinder abgegeben, und war sofort weitergereist, ohne sich mit Erklärungen aufzuhalten. Vater und Mutter hatten wahrscheinlich einen Ehestreit der heftigeren Art vermutet, möglicherweise auch Schwierigkeiten bei der Scheidung – falls sie überhaupt davon wussten.
    Das Telefon in seiner Jackentasche klingelte. Passan entschuldigte sich, stand auf und nahm das Gespräch im Nachbarzimmer an. Verwundert erkannte er Fifis Stimme. Paris, die Ermittlungen und sein Team waren längst unendlich weit entfernt …
    »Ich habe die Informationen, die du wolltest«, verkündete Fifi. »Mit ein bisschen Glück konnte ich einen Typ bei der Passstelle …«
    »Weiter im Text!«
    »Ayumi Yamada kam am 24. März in Paris an. Als Adresse gab sie das Hotel Scribe an, ist jedoch nie dort abgestiegen.«
    »Wo war sie dann?«
    »Das weiß niemand.«
    Trotz der Hitze begann Passan, in seinen nassen Klamotten zu zittern.
    »Heute Morgen ist sie um 8.40 Uhr Pariser Zeit mit dem Flug 7654 der JAL nach Japan zurückgekehrt.«
    »Dann kommt sie morgen früh hier an.«
    »Sie fliegt nicht nach Tokio, sondern nach Nagasaki. Ankunft ist 10.22 Uhr Ortszeit.«
    Mit anderen Worten: Utajima musste ein Ort auf Kyushu sein, einer der südlichsten Inseln Japans. War es ein Hafen? Ein Dorf? Vielleicht ein Heiligtum?
    Mit Sicherheit war Naoko bereits auf dem Weg zu diesem Ort. Und er selbst durfte hier nicht mehr lange zaudern.
    Fifis Stimme drang wieder an sein Ohr.
    »Und du? Wie weit bist du?«
    Passan betrachtete die Risse in den Wänden, den schwarzen Parkettboden und die geheimnisvollen Kalligrafien.
    »Bis jetzt habe ich noch nichts erreicht.«
    Er legte auf. Ihm blieben nur noch wenige Stunden, um den genauen Ort des Treffens zu finden und sich über Ayumi Yamada zu informieren. Von der Tür aus machte er Shigeru ein Zeichen, zog seine Schuhe wieder an und kehrte in den Garten zurück, um sich von den Kindern zu verabschieden. Shinji und Hiroki hatten gerade den Hund eingefangen.
    »Wir wischen seine Pfoten ab, dann kann er mit ins Haus kommen«, rief Shinji.
    Wie gebannt beobachtete Passan die Schönheit dieser Szene. Das grüne Blattwerk, das mit Schlamm bespritzte Gemüse, die tropfenden Kiefern. Alles glitzerte feenhaft. Ein Ausschnitt aus dem japanischen Leben. Reinheit. Vollkommenheit. Einfachheit.
    Als ihm bewusst wurde, dass er ebenfalls ein Teil davon war, wurde er von heftigen Gefühlen übermannt. Diese Kinder waren seine Nachkommen, und sein Schicksal war eng mit diesem vergötterten Land verknüpft.
    Er empfand seine Gefühle als positives Omen.
    Shinji und Hiroki würden die Geschichte fortführen. Er musste um ihretwillen kämpfen. Hier in Japan würde er die gefährlichste Klippe seines Lebens umschiffen, um endlich unbeschwert weitersegeln zu können.

83
    »Wer ist Ayumi Yamada?«
    »Yamada Ayumi«, wiederholte Shigeru den Namen in der japanischen Reihenfolge, »ist eine Jugendfreundin von Naoko.«
    »Sie hat mir nie von ihr erzählt.«
    »Das ist auch Schnee von gestern. Warum willst du das wissen?«
    Passan stützte beide Ellbogen auf den Tresen. Sie standen in einer winzigen Bar, in der es nach feuchtem Hopfen und verschimmeltem Holz roch. Es war eines der extrem kleinen Etablissements, wie sie nur Tokio zu bieten hat. Mehr als sechs Leute passen nicht hinein, die Schiebetür kreischt in ihren Schienen, und es ist so hell wie in einer Fabrikhalle.
    Passan ahnte, dass Shigeru die Wahrheit sagte und tatsächlich nichts von Naokos Schwindel wusste. Er holte tief Luft und berichtete von den Ereignissen der letzten Wochen. Von den Angriffen in der Villa. Von der Blutentnahme bei den Kindern. Von der Tötung Diegos. Vom Mord an Sandrine. Je länger er sprach, desto mehr schmolz Shigerus Ungezwungenheit dahin. Trotzdem brachte er es fertig, seine Überraschung zu verbergen. Das Klischee enthielt durchaus einen Funken Wahrheit: Japaner

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