Die Wahrheit des Blutes
einem Gemisch aus Französisch und Japanisch bat er leise:
»Könntest du die Tür offen lassen?«
»Kein Problem, Herzchen. Und nun schlaf schön.«
Sie küsste ihn noch einmal zwischen Hals und Schulter, ehe sie sich Shinji zuwandte, der sich in ein Micky-Maus-Heft vertieft hatte.
»Lässt du im Flur das Licht an?«, fragte er auf Japanisch, um sie milde zu stimmen.
Lächelnd löscht Naoko die Nachttischlampe.
»Hier scheinen wirklich nur Angsthasen zu wohnen.«
16
Viel später an diesem Abend betrat Passan sein Appartement. Verloren, verstoßen, verfemt.
Ehe er mit seinen japanischen Schätzen im Kofferraum nach Puteaux fuhr, hatte er seinen alten Dämonen nachgegeben. Von La Défense bog er ins 8. Arrondissement mit seinen einschlägigen Adressen ab.
Passan hatte gewisse Gewohnheiten. Bars, Kneipen, Escort-Services. Es handelte sich nicht um alte Freundinnen, wie man es manchmal in Filmen sieht, in denen der Bulle häufig unter den Prostituierten eine Geliebte hat. Passans Adressen enthielten immer Überraschungen. Neue Mädchen, neue Verbindungen. Eigentlich waren die Damen viel zu teuer für ihn, aber ein Polizist kann eben manchmal recht nützlich sein. Passan hatte nichts von einem wohlmeinenden Bullen. Ihn zum Freund zu haben war nicht unbedingt gut, allerdings war es wesentlich schlechter, sich ihn zum Feind zu machen. Und genau dieses Klima von Furcht und Dominanz erregte ihn ganz besonders.
Einige Jahre nach seiner Hochzeit hatte er aufgehört, Naoko körperlich zu begehren. Rasch nahm er seine Junggesellengewohnheiten wieder auf und wurde Stammgast in zwielichtigen Etablissements und bei Luxushuren, die seine niedersten Bedürfnisse befriedigten. Es war ein simples Tauschgeschäft: Er bekam die Zuwendungen gratis und garantierte dafür Schutz.
Woher aber kam diese Neigung, sich mit fetten, vulgären Professionellen zu vergnügen, während ihn zu Hause eine der schönsten Frauen von Paris erwartete? Die Antwort lag in der Frage. Die Frau seiner Träume fickt man nicht auf allen vieren wie ein Hund, und man ejakuliert ihr nicht ins Gesicht, anstatt ihre Lust zu verlängern. Das gilt umso mehr für die Mutter der eigenen Kinder.
Die Mutter und die Hure. Trotz seines Alters und seiner Erfahrung hatte Passan diesen kindlichen Antagonismus nie überwunden. Acht Jahre Psychoanalyse hatten nichts gefruchtet. Tief in seinem Innern blieb es ihm unmöglich, Begierde und Liebe oder Sex und Reinheit in Verbindung zu bringen. Für ihn war die Frau eine Wunde, deren Ränder nicht zusammenwachsen wollten.
Mit Naoko hatte er eine Woge der Erregung erlebt, so frisch und so neu, dass es ihm zunächst nicht vorkam, als besudele er seine Madonna. Als ihn jedoch seine früheren Vorlieben wieder einholten, erschien es ihm völlig natürlich, sich von seiner japanischen Fee abzuwenden. Die Rückkehr zu den Ursprüngen. Frauen mit breiten Hüften, fetten Schenkeln und Hängebrüsten. Erniedrigende Stellungen. Schimpfworte. Ein erleichtertes Bauchgefühl, verbunden mit einer Art düsterer Rache. Wenn er zum Höhepunkt kam, presste er die Zähne zusammen, um das raue, verbitterte Triumphgeheul zu unterdrücken, das weder Sinn noch Zweck hatte.
Für ihn kam es nicht infrage, seine Ehefrau mit solchen Schändlichkeiten in Verbindung zu bringen. Seine persönliche Hölle ging nur ihn allein etwas an.
Das Paradoxe daran war, dass Naoko ihm in seinen Vorstellungen gern gefolgt wäre. Japanerinnen haben eine äußerst freizügige Einstellung zur Sexualität, die absolut nichts mit dem christlich geprägten Schuldbewusstsein gemein hat, das Westler bis heute prägt. Doch Passan erkannte Naoko nicht auf diese Weise. Ihre weiße glatte Haut, ihr muskulöser, perfekt geformter Körper erregten ihn nicht. Sie war für die Anbetung geschaffen, nicht für die Wollust.
Naoko ließ sich nicht täuschen. Jede Frau kennt den sexuellen Biorhythmus ihres Partners. Sie hatte ihm freie Hand gelassen, möglicherweise aufgrund der alten japanischen Tradition, derzufolge der Ehemann seiner Frau die Kinder macht, sein Vergnügen aber bei den Prostituierten sucht. So entstanden das erste Schweigen und der erste Kompromiss. Die Frustration hatte sich zwischen sie geschoben und eine unsichtbare Mauer errichtet, die jede Geste in einen Angriff und jedes Wort in Gift verwandelte. Die Abkehr der Herzen beginnt immer mit einer Abkehr der Körper.
Passan parkte in einer Gasse am Seineufer, hinter der Kirche von Puteaux. Dreimal musste er hin-
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