Die Wahrheit eines Augenblicks
für … kurze Zeit«, antwortete Lucy anstelle ihrer Tochter.
»Oh, das ist wunderbar!«, sagte Cecilia, den Blick noch immer auf Tess geheftet. Meine Güte, blinzelt die Frau auch einmal? »Wie alt ist Liam denn jetzt?«
»Sechs.« Tess schlug die Augen nieder, konnte es nicht länger aushalten.
»Nun, dann kommt er zu Polly in die Klasse. Wir hatten eine Schülerin, die zu Beginn des Schuljahrs weggezogen ist. So kommt Liam zu uns. Zu einer Mrs. Jeffers. Mary Jeffers. Sie ist übrigens ganz wunderbar .«
»Prima«, sagte Tess leise. Ganz toll. Mary Jeffers, das klingt wie ein Obstkuchen.
»Liam! Da hast du mich also tatsächlich erschossen! Komm mal her, sag mal Hallo! Ich habe gerade gehört, dass du auf die St.-Angela-Schule kommst!« Cecilia winkte Liam zu, der zu ihnen herüberschlenderte und seinen Stock hinter sich herschleifte.
Cecilia bückte sich zu ihm hinunter, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm war. »Ich habe eine kleine Tochter, und die wird auch in deiner Klasse sein. Sie heißt Polly. Sie feiert eine Woche nach Ostern ihren siebten Geburtstag. Möchtest du kommen?« Liams Gesicht bekam augenblicklich jenen ausdruckslosen Blick, bei dem Tess sich immer sorgte, die Leute könnten denken, er wäre irgendwie behindert.
»Es wird eine Piratenparty.« Cecilia stellte sich wieder aufrecht hin und wandte sich an Tess. »Ich hoffe, du kannst auch kommen. Bei der Gelegenheit lernst du gleich die anderen Mütter kennen. Wir werden unsere eigene kleine Oase haben. Und Champagner süffeln, während die kleinen Piraten herumtoben.«
Tess spürte, wie sich ihr Gesicht verspannte. Liam hatte das wohl von ihr geerbt. Sie konnte jetzt kein völlig neues Grüppchen von Müttern kennenlernen, das war ganz und gar unmöglich. Sie hatte die Kontaktpflege mit den Müttern aus der Schule in Melbourne schon schwierig genug gefunden, als ihr Leben noch in allerbester Ordnung gewesen war. Dieses Schwatzen, Schwatzen, Schwatzen, dieses ständige Gelächter, diese Wärme und Freundlichkeit (die meisten Mütter waren ja ach so nett) und diese latente Stutenbissigkeit, die immer vorhanden war. Das hatte sie in Melbourne zur Genüge gehabt. Sie hatte sich mit ein paar Müttern am Rand dieses inneren sozialen Zirkels angefreundet, aber das schaffte sie nicht noch einmal. Nicht jetzt. Dafür hatte sie nicht die Kraft. Es war, als hätte ihr jemand überschwänglich vorgeschlagen, doch an einem Marathon teilzunehmen, wo sie sich eben erst nach einer schweren Grippe aus dem Bett gequält hatte.
»Prima«, sagte sie. Sie würde irgendwann später eine Entschuldigung finden.
»Ich werde Liam ein Piratenkostüm nähen«, erklärte Tess’ Mutter. »Er bekommt eine Augenklappe, ein rot-weiß gestreiftes Hemd, oh, und natürlich ein Schwert! Du brauchst doch ein Schwert, Liam, nicht wahr?«
Sie sah sich nach Liam um, doch er war auf und davon; er drückte mit seinem »Gewehr« wie mit einem Bohrer auf den hinteren Schulhofzaun.
»Natürlich bist auch du herzlich zur Party eingeladen, Lucy«, sagte Cecilia. Sie war richtig nervig, aber ihre Manieren waren tadellos. Es war, als spielte jemand wunderschön Geige und alle anderen fragten sich, wie er das nur machte.
»Oh, danke, Cecilia!« Tess’ Mutter war erfreut. Sie liebte Partys. Besonders das Essen. »Mal sehen, wie wir das mit dem rot-weiß gestreiften Piratenkostüm hinkriegen. Hat er nicht schon eines, Tess?«
Wenn Cecilia die Geigenspielerin war, dann war Lucy eine gesellige, gut gelaunte Gitarrenspielerin, die ihr Bestes gab, um in die Weise einzustimmen.
»Ich möchte euch nicht länger aufhalten. Ich denke, ihr seid auf dem Weg zu Rachel ins Sekretariat?«, fragte Cecilia.
»Ja, wir haben einen Termin mit der Schulsekretärin«, antwortete Tess. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie die hieß.
»Ja, mit Rachel Crowley«, sagte Cecilia. »Das klappt. Die funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk. Sie teilt sich den Job mit meiner Schwiegermutter, obwohl, unter uns, ich denke, dass Rachel die ganze Arbeit macht. Virginia hält an ihren Tagen mal ein Pläuschchen hier, ein Pläuschchen da. Ich will nichts gesagt haben. Aber das ist meine Meinung, und die kann ich ja äußern.« Sie lachte herzlich über sich selbst.
»Wie geht es Rachel denn zurzeit?«, fragte Tess’ Mutter bedeutungsvoll.
Cecilias Frettchengesicht verfinsterte sich. »Ich weiß es nicht so genau, doch sie hat ja einen süßen, kleinen Enkel. Jacob. Er ist gerade zwei geworden.«
»Ah«, hauchte
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