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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Wunder, dass er dann Immobilienmakler wurde.
    Das Badewasser war inzwischen kalt.
    Rachel begann, unkontrolliert zu zittern, als litte sie an Unterkühlung. Sie stützte sich mit den Händen am Badewannenrand ab und schickte sich an aufzustehen.
    Sie schaffte es nicht. Sie würde die ganze Nacht hier gefangen sein. Ihre Arme, ihre totenbleichen, spindeldürren Arme hatten keine Kraft. Wie war es möglich, dass dieser nutzlose, klapprige, blau geäderte Körper der gleiche war, der einst so braun, so straff und so stark gewesen war?
    »Schöner Teint für April«, hatte Toby Murphy an jenem Tag zu ihr gesagt. »Du liegst wohl gern in der Sonne, Rachel?«
    Und deshalb war sie sieben Minuten zu spät gewesen. Weil sie mit Toby Murphy geflirtet hatte. Toby war mit ihrer Freundin Jackie verheiratet. Er war Klempner und brauchte eine Bürokraft. Rachel war zum Vorstellungsgespräch gegangen, blieb mehr als eine Stunde bei ihm im Büro und schäkerte mit ihm. Sie trug das neue Kleid, zu dem Marla sie überredet hatte, es zu kaufen, und Toby sah die ganze Zeit auf ihre nackten Beine. Rachel wäre Ed nie untreu geworden, und auch Toby liebte seine Frau über alles, weder seine noch Rachels Ehe war also in Gefahr. Trotzdem sah er die ganze Zeit auf ihre Beine, und Rachel gefiel das.
    Ed hätte es nicht gefallen, wenn sie die Stelle bei Toby bekommen hätte. Er wusste nichts von diesem Vorstellungsgespräch. Rachel hatte das Gefühl, dass Ed sich in ständiger Konkurrenz mit Toby Murphy sah, was wohl etwas damit zu tun hatte, dass Toby ein Handwerker und somit ein »echter Kerl« war und Ed den weniger männlichen Beruf eines Pharmavertreters ergriffen hatte. Er und Toby spielten Tennis zusammen, und Ed verlor meist. Er tat so, als machte ihm das nichts aus. Doch Rachel merkte ihm an, dass es ihn gewaltig wurmte.
    Insofern war es besonders mies von ihr, dass sie Tobys Blicke auf ihre Beine so genoss.
    Ihre Sünden an jenem Tag waren überaus trivial. Eitelkeit. Selbstsucht. Ein klitzekleiner Verrat an Ed. Ein klitzekleiner Verrat an Jackie Murphy. Aber möglicherweise waren jene trivialen kleinen Sünden das Schlimmste überhaupt. Der Mensch, der Janie getötet hatte, war wahrscheinlich krank im Kopf gewesen, während Rachel bei gesundem Verstand und durchaus selbstbewusst war, und sie wusste genau, was sie tat, als sie sich ihr Kleid wie zufällig etwas höher über die Knie schob.
    Der Badeschaum, den sie ins Wasser gegeben hatte, war in sich zusammengefallen und schwamm nun als schmieriger Ölfilm auf der Wasseroberfläche. Rachel versuchte noch einmal, sich aus der Wanne zu ziehen, und scheiterte erneut.
    Vielleicht ginge es leichter, wenn sie das Wasser erst ablaufen ließ.
    Mit dem Zeh zog sie den Stöpsel heraus, und das Wasser, das laut durch den Abfluss röhrte, klang wie immer – wie das dröhnende Gebrüll eines Riesendrachen. Rob hatte vor diesem ablaufenden Wasser stets eine Heidenangst gehabt. »Raaaahhh!«, hatte Janie dann gerufen und ihre Hände zu Krallen gebogen. Als das Wasser abgelaufen war, drehte sich Rachel auf den Bauch und stützte sich mit Händen und Knien in den Vierfüßlerstand. Ihre Kniescheiben fühlten sich an, als würden sie gerade zertrümmert.
    Sie zog sich in eine halb aufrechte Position, hielt sich am Wannenrand fest, hob vorsichtig erst ein Bein heraus, dann das andere. Geschafft. Sie war draußen. Ihr Herz schlug wieder ruhiger. Gott sei Dank. Keine gebrochenen Knochen.
    Wer weiß, vielleicht war das ja ihr letztes Bad.
    Sie trocknete sich ab und zog sich den Bademantel über, der am Haken hinter der Tür hing. Er war aus einem schönen, kuschelweichen Material. Ein Muttertagsgeschenk von Lauren und Rob. Eines, das Lauren wie immer sorgfältig ausgesucht hatte. Rachels Haus war voll mit Geschenken, die Lauren sorgfältig ausgesucht hatte. Zum Beispiel diese klotzige Vanille-Duftkerze in einem Windlicht aus Glas, die auf dem Badezimmerschrank stand.
    »Ein riesiges, stinkendes Ding«, hätte Eds Kommentar dazu gelautet.
    Rachel vermisste ihn manchmal in den unmöglichsten Momenten. Sie vermisste es, mit ihm zu streiten. Und sie vermisste den Sex. Nachdem Janie gestorben war, hatten sie oft Sex gehabt, was sie beide überrascht hatte, obwohl sie gleichzeitig auch angewidert gewesen waren davon, dass ihre Körper in der gleichen Weise aufeinander reagierten wie vorher auch. Aber sie hatten trotzdem Sex gehabt.
    Rachel vermisste sie alle sehr: ihre Mutter, ihren Vater, ihren Mann, ihre

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