Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
Vom Netzwerk:
ja dermaßen in den Siebzigern hängengeblieben!«
    »Ja, habe ich«, meinte John-Paul. »Soll heißen, dass ich gekommen bin. Apropos, ich hatte das Gefühl, dass du auch …?«
    »Alles prima. Es war superklasse, Mann!« Und das würde es das nächste Mal bestimmt wieder sein.
    John-Paul lachte, wälzte sich von ihr herunter, schlang die Arme um sie und küsste ihren Nacken.
    »Es ist schon eine Weile her«, stellte Cecilia nüchtern fest.
    »Ich weiß«, sagte John-Paul. »Warum eigentlich? Eben darum bin ich früher nach Hause gekommen. Ich war plötzlich geil auf Sex. Affengeil.«
    »Ich musste während der ganzen Beerdigung von Schwester Ursula an Sex denken«, gestand Cecilia.
    »Ja, so ist das«, murmelte John-Paul schläfrig.
    »Vor ein paar Tagen hat mir ein Brummi-Fahrer hinterhergepfiffen. Ja, ich bin immer noch ein Hingucker. Nur damit du es weißt.«
    »Ich brauche keinen blöden Brummi-Fahrer, der mir beibringt, dass meine Frau immer noch ein heißer Feger ist. Ich wette, du hast deinen Karorock angehabt.«
    »Ja, hatte ich.« Sie hielt kurz inne. »Neulich im Einkaufszentrum hat so ein Typ Isabel hinterhergepfiffen.«
    »So ein Arsch«, meinte John-Paul, ohne sich groß darüber zu mokieren. »Sie sieht viel jünger aus mit ihrer neuen Frisur.«
    »Ich weiß. Aber sag ihr das bloß nicht!«
    »Bin ich blöd?« Er klang, als wäre er fast eingeschlafen.
    Alles war in Ordnung. Cecilia spürte, wie ihr Atem langsam ruhiger wurde. Sie schloss die Augen.
    »Berliner Mauer, hm?«, bemerkte John-Paul da.
    »Ja.«
    »Das Thema Titanic kam mir schon zu den Ohren raus.«
    »Mir auch.« Cecilia fühlte, wie sie langsam dahindämmerte. Alles wieder normal. Alles so, wie es sein soll. Für morgen steht viel an  …
    »Was hast du denn mit dem Brief gemacht?«
    Sie schlug die Augen auf. Stierte in die Dunkelheit.
    »Habe ich wieder auf den Speicher gebracht und in einen der Schuhkartons gelegt.«
    Das war eine glatte Lüge. Eine aalglatte Lüge, die ihr so leicht über die Lippen glitt wie eine kleine, harmlose Schwindelei. Der Brief lag im Ablageschrank im Arbeitszimmer, gleich hinten am Ende des Flurs.
    »Hast du ihn geöffnet?«
    Irgendwie klang seine Stimme komisch. Er war hellwach, versuchte jedoch, schläfrig und desinteressiert zu klingen. Cecilia konnte spüren, wie sich eine Spannung aufbaute, die sich durch seinen ganzen Körper zog wie ein elektrischer Strom.
    »Nein«, sagte sie und versuchte ebenfalls, müde zu klingen. »Du hast mich gebeten, ihn nicht aufzumachen … also habe ich ihn nicht aufgemacht.«
    Seine Arme, die sie noch immer umschlungen hielten, schienen sich zu entspannen.
    »Danke. Ist mir peinlich.«
    »Sei nicht albern!«
    Sein Atem ging langsamer. Sie atmete ebenfalls ruhiger, um sich seinem Rhythmus anzupassen.
    Cecilia wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, den Brief doch noch zu lesen. Doch nun stand eine tolldreiste Lüge zwischen ihnen. Mist, verdammter! Sie wollte diesen verflixten Brief einfach vergessen.
    Sie war hundemüde. Sie würde morgen weiter über diese Sache nachdenken.
    Cecilia konnte unmöglich sagen, wie lange sie geschlafen hatte, als sie aufwachte – in einem leeren Bett. Mit halb zugekniffenen Augen blinzelte sie auf die Digitaluhr auf ihrem Nachttisch. Ohne Brille konnte sie nichts erkennen.
    »John-Paul?«, rief sie mit unterdrückter Stimme und stützte sich auf die Ellbogen. Aus dem angrenzenden Bad drang kein Laut. Normalerweise schlief er wie ein Stein nach einem so langen Flug.
    Da hörte sie ein Geräusch. Es kam von oben.
    Sie setzte sich auf, hellwach, ihr Herz hämmerte, als ihr blitzartig klar wurde, was los war. Er war auf dem Speicher. Dabei geht er nie auf den Speicher . Schon oft hatte sie erlebt, wie sich winzige Schweißperlen über seinen Lippen sammelten, wenn er Platzangst bekam und eine Panikattacke erlitt. Er wollte diesen Brief auf Teufel komm raus in die Finger bekommen, wenn er freiwillig dort hinaufstieg. Selbst seine Steuerunterlagen musste sie, Cecilia, für ihn nach oben bringen.
    Wie hatte er noch gleich einmal gesagt: »Es muss schon um Leben und Tod gehen, bis mich einer dort hinaufkriegt.«
    Ging es in dem Brief um Leben oder Tod?
    Cecilia zögerte keine Sekunde. Sie stand auf und tappte im Dunkeln den Flur hinunter ins Arbeitszimmer. Sie knipste die Schreibtischlampe an, zog die oberste Schulblade des Ablageschrankes auf und holte die rote Aktenmappe mit der Aufschrift Testamente heraus.
    Langsam setzte sie sich in

Weitere Kostenlose Bücher