Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)
setzte sich ruckartig im Bett auf. Sie musste fort. Warum hatte sie daran nicht gleich gedacht? Sie würde abreisen. Noch heute Nacht. Der Gedanke nahm so heftig von ihr Besitz, dass sie aus dem Bett sprang, den Kleiderschrank öffnete und unkontrolliert Kleidungsstücke herausriss. Sie zog ihren Koffer vor und stopfte alles wahllos hinein.
Mit einem Mal hielt sie einen großen Umschlag in der Hand. Die Briefe ihrer Mutter. Richtig! Sie hatte sie in den Schrank gelegt, um sie in einer ruhigen Stunde zu lesen. Doch ruhige Stunden hatte es in den letzten Tagen nicht gegeben und so hatte Emma die Briefe komplett vergessen. Jetzt lagen sie vor ihr. War das ein Zeichen? Ein Hinweis aus dem Jenseits? Emma hatte plötzlich das Gefühl, als wäre ihre Mutter im Raum. Lies endlich! Es klang wie ein Befehl. Doch Emma hatte keine Muße, zu lesen. Sie würde sich später Zeit dafür nehmen. Jetzt musste sie erst mal hier weg.
Sie warf den Umschlag in den Koffer und versuchte weiter zu packen. Doch ihr Körper zitterte so stark, dass sie sich setzen musste. Großer Gott, das Ganze würde sie noch umbringen. Sie musste sich von Alex befreien! Aber wie? Nur mit reiner Willenskraft war es nicht getan, das hatten die letzten Tage gezeigt. Sie brauchte definitiv Hilfe. Da klingelte plötzlich das Telefon. Ohne zu überlegen nahm sie den Hörer ab: »Ja?«
»Cara Mia bellissima!«
Oh Gott! Antonio war am Apparat. Warum riefen diese Männer immer an, wenn sie gerade dabei war durchzudrehen. Heute früh Alex, jetzt Antonio. Als ob sie sich abgesprochen hätten.
»Antonio, hallo, was ist denn?« Emma wusste im Augenblick wirklich nicht, was sie mit ihm reden sollte.
»Emma, ich habe solche Sehnsucht nach Ihnen. Ich kann nicht bis morgen warten. Sie müssen mir sagen, wie Sie sich entschieden haben. Bitte! Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!«
Das auch noch! Der Heiratsantrag! Also gut, dann würde er seinen Korb eben jetzt bekommen.
»Antonio, es tut mir leid, aber…«
Emma hielt plötzlich inne. Sie hatte auf einmal einen Gedanken, der so ungeheuerlich war, dass ihr schwindelte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, aber es war die Lösung! Antonio war die Lösung! Er würde ihr helfen. Er würde sie heiraten!
Der Gedanke war übermächtig. Damit war sie aus der Sache raus. Endgültig. Ein harter, endgültiger Schnitt. Das war es, was sie brauchte. Und dafür war eine Heirat genau das Richtige. Sie wusste, dass sie Antonio nicht liebte, ihn jetzt nur benutzte, aber das war ihr im Augenblick egal. Antonio würde sie heiraten und von hier fortbringen. Damit würde sie eine unüberwindliche Mauer zwischen sich und Alex errichten. Er würde schließlich auch heiraten! Was er konnte, konnte sie schon lange! Sie würde Antonios Antrag annehmen. Und sie musste es sofort tun. Wenn sie noch weiter darüber nachdachte, würde ihr vielleicht wieder der Mut fehlen.
»Antonio…«
»Ja?« Sie spürte, wie gespannt er am anderen Ende der Leitung wartete.
Emma holte tief Luft und schob alle Bedenken, die sie jemals gegen ihn gehabt hatte beiseite: »Antonio, ich nehme Ihren Antrag an.«
»Emma! Cara Mia, bellissima!« Antonio wäre am liebsten durch die Leitung gesprungen: »Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt.«
»Ja, ich weiß.« Sie wusste, dass ihre Antwort nicht gerade leidenschaftlich war, aber etwas Besseres fiel ihr im Augenblick nicht ein.
»Ich komme zu dir, sofort!«
»Nein!« Mit Schrecken dachte Emma an das, was eben zwischen ihr und Alex vorgefallen war. Der Gedanke, Antonio jetzt in ihr Schlafzimmer zu lassen, war unerträglich.
»Nein?« Antonios Stimme klang enttäuscht.
»Nein. Antonio, bitte verstehen Sie mich. Ich möchte Ihre Frau werden, aber…«
»Deine Frau werden!« Er verbesserte sie sofort.
»Ja, ich möchte deine Frau werden, aber…«, Emma überlegte, wie sie ihn hinhalten könnte: »Aber ich möchte erst mit dir zusammen sein, wenn wir verheiratet sind.« Emma hielt den Atem an. Er war Italiener und vielleicht konservativ. Würde er sich darauf einlassen?
Am anderen Ende der Leitung war es plötzlich sehr still. Sie konnte förmlich sehen, wie er konzentriert nachdachte.
»Ich verstehe.« Er sprach langsam, seine Stimme klang etwas überrascht: »Du hast dich für mich bewahrt?«
Wie? Bewahrt?
Emma kapierte nicht sofort, was er meinte, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er glaubte, sie sei noch Jungfrau. Oh je, das machte die Sache kompliziert. Auf diese
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