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Die Wahrheit über Alice

Die Wahrheit über Alice

Titel: Die Wahrheit über Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca James
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Bögen.
    Grant hielt meinen Unterarm fest gepackt und zerrte mich an den anderen vorbei.
    Es war dunkel, und ich strauchelte. Jedes Mal, wenn ich zu fallen drohte, riss er jäh an meinem Arm und stieß ein genervtes
     Knurren aus. Ich bemühte mich verzweifelt, geradeaus zu gehen, schaffte es aber nicht, weil mir vor nackter Panik die Beine
     schlotterten. Es kostete mich eine gewaltige Anstrengung, nicht |181| zusammenzubrechen und loszuschreien. Stattdessen schluchzte ich leise, und Tränen strömten mir über die Wangen, tropften auf
     meinen Kragen.
    Dann tauchte vor uns ein kleines Gebäude auf, eine Art Schuppen. Im Widerschein von Grants Zigarette konnte ich Wellblechwände
     erkennen. Grant zog an der Tür, die sich mit einem laut jammernden Quietschen öffnete, und stieß mich hinein. Und dann ertönte
     das Klacken eines Riegels, und ich war eingesperrt.
    Es war stockfinster um mich herum. Es roch nach Feuchtigkeit und Erde, ein Geruch, der mich an den Keller im Haus meines Großvaters
     erinnerte, wo ich mich immer gefürchtet hatte. Als ich Grant weggehen hörte, fiel ich auf die Knie und fing an, vor Entsetzen
     zu stöhnen.
    «O Gott», flüsterte ich in die Finsternis hinein. «Bitte, bitte, lass mich nicht hier allein. Bitte.»
    Instinktiv wollte ich schreien und brüllen und mit den Fäusten gegen die Wand schlagen, um so laut und heftig zu protestieren,
     wie ich konnte. Aber ich wusste, dass es nichts nützen würde. Niemand konnte mich hören. Grant würde höchstens noch wütender
     werden und mir wieder wehtun. Oder er könnte seine Wut an Rachel auslassen. Es kostete mich all meine Kraft, all meine Energie
     und Selbstbeherrschung, meine Schluchzer zu dämpfen und so leise zu sein, wie ich konnte.
    Ich legte die Hände auf den Boden und spürte Erde, feucht und kalt und festgetreten. Einen Moment verharrte ich auf allen
     vieren und ließ den Kopf hängen. Ich atmete regelmäßig ein und aus, ein und aus, um mich wieder zu beruhigen. Es wäre so leicht,
     wieder loszuschreien, so leicht, und in gewisser Weise auch eine große Erleichterung, mich blindwütiger Hysterie zu überlassen.
     Aber ich musste einen klaren Kopf bewahren, um nachdenken zu können. Immerhin war ich noch am Leben, Rachel war noch |182| am Leben, es war noch nichts Unwiderrufliches passiert. Und die beste, nein, die einzige Verteidigung, die ich hatte, war
     mein Verstand. Grant und seine Freunde waren stärker, aber ich musste daran glauben, dass ich schlauer war und eine Chance
     hatte, sie zu überlisten und eine Fluchtmöglichkeit zu finden, wenn ich nur die Ruhe bewahrte.
    Ich fuhr mit den Händen über den Boden, um die Seiten des Schuppens zu ertasten und herauszufinden, wie groß er war. Ich wollte
     ein Gespür dafür bekommen, wo sich die Wände befanden. Ich wollte sehen, ob es irgendeine Lichtquelle gab, irgendein Schlupfloch.
    Mit einer Hand an der Wand kroch ich auf den Knien über den Boden, ganz langsam, aus Angst, mich in der Dunkelheit an irgendwas
     Scharfem zu verletzen oder mir den Kopf zu stoßen. Aber immerhin war ich in Bewegung. Ich tat etwas, und dadurch fühlte ich
     mich gleich besser. Ich hatte einen Plan, so dürftig und aussichtslos er auch sein mochte.
    Der Schuppen war anscheinend größer, als er von außen gewirkt hatte. Als ich die Ecke der zweiten Wand erreichte, stießen
     meine Hände gegen etwas. Es war weich. Ich wich entsetzt zurück und hob die Hände vors Gesicht, um ein Schluchzen zu dämpfen.
    Mein erster Gedanke war, ich hätte irgendein Tier berührt, aber ich hörte und spürte keinerlei Bewegung, kein Atemgeräusch.
     Also streckte ich die Hand erneut aus.
    Die Oberfläche war weich, aber rau. Kein Tier, nein, sondern eine Art Sack. Ein Jutesack. Vermutlich mit Saatkörnern oder
     Getreide gefüllt. Ich kroch weiter und entdeckte noch mehr Säcke. Die ganze Wand war davon bedeckt.
    Aber nirgends fand ich Löcher oder Lücken zwischen Wänden und Boden, nirgends gab es einen offensichtlichen Fluchtweg. Ich
     setzte mich und überlegte. Inzwischen hatten sich meine |183| Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte erkennen, dass der Schuppen, abgesehen von den Säcken, völlig leer war. Die
     einzigen Lichtquellen waren die Ritzen um die Tür herum. Aber die Tür war fest verschlossen, das wusste ich, weil ich gehört
     hatte, wie Grant sie von außen verriegelte, bevor er ging.
    Ich wusste, die Chance war minimal, aber vielleicht versteckte sich ja hinter den Säcken ein

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