Die Wahrheit über Alice
immer bei mir bleiben. Für alle Zeit. Und das ist in Ordnung. Es ist gut. Ich kann
es akzeptieren.»
«Das ist toll, Katherine, aber du glaubst doch nicht –»
Ich erfahre nicht mehr, was er sagen will, weil es plötzlich sehr laut an der Tür klopft.
«Hey?» Mick blickt mich an und schüttelt den Kopf. «Wer zum –»
«Katherine! Katherine! Bist du dadrin?», ruft ein Mann verzweifelt durch die Tür und klopft jetzt so fest, dass die Wände
wackeln. «Katherine! Mach auf!»
«O Gott.» Ich fahre kerzengerade hoch und spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. «Ich glaube, das ist mein Dad!»
«Was? Wieso?»
«Keine Ahnung», sage ich, springe auf, laufe zur Tür und reiße sie genau in dem Moment auf, als mein Vater wieder meinen Namen
ruft.
Mum und Dad stehen vor mir. Sie wirken überrascht, als sie mich sehen, so als hätten sie eigentlich gar nicht mit mir gerechnet.
Sie sehen erst einander an, dann wieder mich. Sie wirken seltsam angespannt, irgendwie wie in Habtachtstellung.
«Dad! Mum! Was ist denn los? Was macht ihr hier?»
«Oh, Katherine.» Mum stürzt zu mir und reißt mich an ihre Brust. «Ist alles in Ordnung? Geht’s dir gut?»
«Ja.» Ich drücke sie und schiebe sie dann weg. «Mir geht’s gut. Alles bestens. Aber wieso seid ihr hier? Was ist los?»
Und dann hat Dad seine Hand unter meinem Kinn, hebt |266| mein Gesicht und blickt mir forschend in die Augen. «Ist auch wirklich alles in Ordnung?», fragt er. «Ganz bestimmt?»
Ich weiche einen Schritt zurück und runzele die Stirn. «Was habt ihr denn?», frage ich und schaue zwischen ihnen hin und her.
«Ihr macht mir Angst. Wieso seid ihr hergekommen?»
Einen Moment später steht Mick neben mir, ergreift meine Hand und streckt die andere meinen Eltern hin, um sie zu begrüßen.
«Hi. Ich bin Mick. Möchten Sie nicht hereinkommen?»
Dad ignoriert Micks ausgestreckte Hand und starrt ihn an, mustert ihn von oben bis unten, anmaßend und so unverfroren abschätzig,
wie ich das noch nie bei ihm erlebt habe.
Mum tritt einen Schritt näher und lächelt. Es ist ein gezwungenes, unnatürliches Lächeln, das ihre Augen unberührt lässt.
Dann schüttelt sie Mick die Hand. «Mick. Ich bin Helen. Das ist mein Mann Richard. Und ja, wir würden gern reinkommen. Danke.»
Mick und ich treten beiseite, um Mum und Dad vorbeizulassen. Wir folgen ihnen, und Mick wirft mir hinter ihrem Rücken einen
fragenden Blick zu. Aber ich kann nur ratlos mit den Schultern zucken. Ich bin über ihr Verhalten genauso verwundert wie er.
Wir gehen in die Küche, wo es hell und freundlich und sauber ist und alles nach den Vorbereitungen fürs Abendessen aussieht.
Ich bemerke, wie Mum und Dad Blicke wechseln. Sie wirken fast so verwirrt, wie ich es bin.
Mum dreht sich zu uns um.
«Wir wollen nicht um den heißen Brei herumreden», sagt sie. «Alice hat uns angerufen.»
«Ach», sage ich und fühle mich augenblicklich unendlich müde. «Wieso? Was wollte sie?»
«Sie war deinetwegen so besorgt, Schatz», fängt Mum an, doch Dad fällt ihr barsch ins Wort.
|267| «Sie hat gesagt, du nimmst Drogen. Sie hat gesagt, du wohnst bei einem …», er macht eine Kopfbewegung in Richtung Mick, «also, um es mit Alice’ Worten auszudrücken, bei einem verwahrlosten, Motorrad
fahrenden Musiker und Drogendealer.» Und dann sieht er mich an, und er wirkt so klein und traurig und ängstlich, dass ich
es kaum ertragen kann. «Sie hat auch gesagt, du seist schwanger.»
Ich könnte mich mühelos verteidigen. Schließlich nehme ich keine Drogen, und Mick ist weiß Gott nicht verwahrlost, wie hier
leicht zu erkennen ist. Die Wohnung ist sauber, er kocht gesundes Essen, die Gläser sind mit Orangensaft gefüllt. Aber die
Sache mit der Schwangerschaft schnürt mir die Kehle zu und macht mich stumm und verlegen.
«Alice lügt», sagt Mick, und ich schaue ihn dankbar an. Er ist von Grund auf anständig und vernünftig und ehrlich, das müssen
sie doch sehen. «Katherine nimmt keine Drogen. Das ist lächerlich.» Er sieht meinem Vater direkt in die Augen, offen und unverwandt.
«Und ich auch nicht.»
Einen Moment lang sagt keiner etwas, doch als Mum und Dad einander anschauen, steht ihnen die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Sie möchten Mick glauben, das ist unübersehbar.
«Aber warum in aller Welt sollte Alice so etwas behaupten?», fragt Mum, und ich höre bereits die leise Erleichterung in ihrer
Stimme, die
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