Die Wahrheit über Alice
Hoffnung.
«Weil sie Probleme hat», sagt Mick. «Ernsthafte psychische Probleme.»
«Wirklich?» Dad blickt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Die ganze Anspannung, die sein Gesicht noch Augenblicke zuvor
starr und unfreundlich und einschüchternd hat wirken lassen, ist verflogen. «Katherine? Ehrlich? Kannst du mir das versprechen?
Nimmst du wirklich keine Drogen?»
«Nein, Dad.» Ich schüttele den Kopf. «Natürlich nicht. |268| Ehrenwort. Ich verstehe gar nicht, dass du das auch nur eine Sekunde lang glauben konntest.»
«Wir haben nichts von dir gehört», sagt Mum. «Du bist bei Viv nicht ans Telefon gegangen, und auf dem Handy konnten wir dich
nicht erreichen. Wir haben dir auf die Mailbox gesprochen, Schatz. Mindestens zehnmal. Wir … na ja, wir waren schon völlig aufgewühlt, ehe Alice anrief.»
«O Gott. Entschuldige, Mum. Mein Handy ist abgeschaltet. Ich habe es ausgemacht, weil ich nicht mit Alice reden wollte. Ich
hatte ja keine Ahnung, dass sie euch anrufen und faustdicke Lügen auftischen würde. Das ist alles so verrückt. Es tut mir
leid. Es ist meine Schuld. Ich hätte anrufen sollen, ich hätte euch sagen sollen, wo ich bin.»
«Ist ja nicht so schlimm.» Mum schüttelt den Kopf, und ehe sie sie wegblinzeln kann, sehe ich die Tränen in ihren Augen. «Hauptsache,
es geht dir gut.»
Und dann treten Mum und Dad fast gleichzeitig vor und umarmen mich. Sie küssen mich auf den Kopf, die Wangen und lachen vor
Erleichterung und Freude. Als sie mich losgelassen und die Fassung wiedergewonnen haben, stehen wir drei leicht verlegen da,
bis Mick Stühle unter dem Tisch hervorzieht, uns bittet, dass wir doch alle Platz nehmen sollen, und auch meinen Eltern Orangensaft
einschenkt.
«Jetzt komme ich mir aber richtig albern vor», sagt Mum, streckt den Arm aus und legt ihre Hand auf meine. Sie schaut Mick
an. «Sie müssen uns ja furchtbar finden, dass wir hier einfach so reingeplatzt kommen. Mit derart verrückten Beschuldigungen.»
«Nein. Sie haben sich einfach Sorgen gemacht. Ist doch normal bei Eltern.» Er schüttelt den Kopf und lächelt sein wunderbares
Lächeln – und ich merke an ihrer Reaktion, dass sie entzückt von ihm ist.
|269| «Wahrscheinlich.» Dann sieht sie mich an, lacht und drückt kurz meine Hand. «Ich bin so froh, dass es dir gutgeht, Schatz.
Wir waren so besorgt und hatten solche Angst. Das kannst du dir gar nicht vorstellen.»
Und in der nächsten Stunde herrscht trotz der bizarren Umstände, die uns vier zusammengeführt haben, eine fast fröhliche Feierstimmung
zwischen uns. Mick besteht darauf, dass Mum und Dad zum Essen bleiben. Wir sitzen zusammen am Tisch und lassen uns Micks Gemüsepfanne
schmecken, und Dad erzählt uns von dem Telefonat mit Alice. Ich bin fassungslos, dass sie zu solch dreisten Lügen imstande
ist, und finde ihre Boshaftigkeit mir gegenüber leicht beunruhigend. Dennoch bin ich ihr gegenüber einigermaßen milde gestimmt.
Ihr Verhalten hat meine Eltern und mich einander wieder nähergebracht, und obwohl ich nie an ihrer Liebe zu mir gezweifelt
habe, rührt mich ihre offensichtliche Sorge und Angst um mich. Ich fühle mich geliebt und angenommen.
Meine Eltern fragen nicht, ob ich schwanger bin oder nicht. Entweder gehen sie davon aus, dass alles, was Alice gesagt hat,
gelogen war, oder sie trauen sich nicht zu fragen, und weder ich noch Mick sprechen das Thema an. Während wir essen und plaudern
und lachen, überlege ich mir die ganze Zeit, wie ich es ihnen am besten beibringen soll – Ach, übrigens, Mum und Dad, in einem
Punkt hat Alice die Wahrheit gesagt. Ich bin wirklich schwanger! Stellt euch vor, ihr werdet Großeltern! Eine solche Neuigkeit
ist doch einfach zu gewaltig, zu schwerwiegend, ernst und von zu großer Tragweite, um sie so en passant fallenzulassen, daher
sage ich lieber nichts. Jedes Mal, wenn Mick das Wort ergreift, stelle ich mir vor, dass er es meinen Eltern sagen will, und
mein Herzschlag beschleunigt sich, doch er tut es nicht, und so reden wir die ganze Zeit nur über Alice und über Musik. Und
darüber, wie und wann Mick und ich uns kennengelernt haben.
|270| Als wir mit dem Essen fertig sind, besteht Mick darauf, den Abwasch zu machen. Er sieht mich vielsagend an, als meine Eltern
uns den Rücken zudrehen, und macht hektische Handbewegungen, um mir zu signalisieren, dass ich mit ihnen ins Wohnzimmer gehen
soll. Ich weiß, was er beabsichtigt. Er will mich mit
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