Die Wahrheit über Alice
ihnen allein lassen, damit ich ihnen von der Schwangerschaft erzählen
kann.
Doch als ich vorschlage, dass wir uns zusammen rübersetzen, unter dem Vorwand, ihnen ein paar Fotos von den letzten Wochen
an der Schule zeigen zu wollen, sagt Dad nein, er wolle Mick beim Spülen helfen. Mum zuckt die Achseln und schmunzelt und
nimmt meine Hand.
«Lass ihn», flüstert sie. «Wahrscheinlich will er deinem jungen Mann ein bisschen auf den Zahn fühlen.»
Und obschon ich verschiedene Möglichkeiten durchgespielt habe, wie ich es ihnen schonend und taktvoll beibringen kann, platze
ich einfach damit heraus, sobald mein Vater und Mick außer Sichtweite sind.
«Ich bin schwanger.»
«Was? Was hast du gesagt?» Mum bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Sie zieht die Stirn kraus. «Wie bitte?»
«Ich bin schwanger.»
«Schwanger? Ach, du meine Güte. Na, das stimmte dann also.» Sie wendet sich ab, doch ich kann gerade noch die verräterischen
Anzeichen erkennen: feuchte Augen, bebendes Kinn.
«Bitte, Mum. Bitte. Ich weiß, dass du jetzt enttäuscht bist. Ich weiß, das hast du nicht erwartet oder dir für mich erhofft.
Das weiß ich. Ich hab das auch nicht gewollt. Aber ich verspreche dir, Mum, wir kriegen das hin. Das verspreche ich. Mach
dir keine Sorgen. Mick ist großartig. Er wird nicht davor weglaufen oder so. Wir schaffen das. Bestimmt. Es wird gut. Ich
kann trotzdem |271| studieren. Ich mache trotzdem eine Ausbildung, das verspreche ich. Es wird gut, Mum. Alles wird gut.»
«Schwanger?» Sie spricht das Wort aus, als hätte sie Mühe, es zu begreifen. Sie geht zur Couch und nimmt schwerfällig Platz.
«Schwanger.»
Ich setze mich neben sie, halte die Augen gesenkt, schaue auf meine Hände und zupfe nervös am Stoff meiner Jeans. «Du bist
enttäuscht von mir, nicht?»
«Nein», sagt sie. «Nein.»
«Du schämst dich.»
«Nein», sagt sie. «Tu ich nicht.» Jetzt ist ihre Stimme fest und fast ein bisschen ungehalten. «Katie. Du verstehst das nicht.
Ich bin nicht enttäuscht, darum geht’s nicht. Überhaupt nicht. Und ehrlich, Schatz, das Wort schämen gehört nicht mal zu meinem
Wortschatz. Es ist ein kleiner Schock, dass du tatsächlich schwanger bist, natürlich, und das muss ich erst mal verdauen.
Aber Herrgott nochmal, Katherine, vor ein paar Stunden haben wir noch befürchtet, du würdest Drogen nehmen. Wir haben ernsthaft
gedacht, wir könnten dich verlieren.» Sie seufzt und schüttelt den Kopf. «Ich habe schon eine Tochter verloren. Ich bin längst
nicht mehr … ich denke nicht mal mehr so.»
Ich sehe sie an und bin völlig durcheinander. Ich habe keine Ahnung, was sie denkt, und weiß nicht, was ich sagen soll.
«Katie. Liebes.» Sie lächelt. «Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen, und ich glaube nicht, dass das im Handbuch für gute
Kindererziehung steht, aber weißt du was? Ich halte das gar nicht für eine Katastrophe.»
«Nein?», sage ich. «Wie siehst du es denn dann?»
Und sie legt einen Finger an die Lippen, starrt einen Moment lang mit großen Augen zur Decke, schaut mich dann wieder an und
grinst. Es ist ein vergnügtes, schelmisches, schuldbewusstes |272| Grinsen. «Ich glaube, ich freue mich richtig. Ehrlich gesagt, bin ich total aus dem Häuschen.»
Anscheinend sehe ich genauso schockiert aus, wie ich mich fühle, denn sie lacht, rutscht auf der Couch ein Stück näher zu
mir und legt den Arm um mich.
Sie spricht leise und eindringlich. «Vielleicht ist es ja falsch von mir oder auch egoistisch, aber ich finde es einfach nur
wunderbar. Du erweiterst unsere Familie, du setzt einen neuen Menschen in die Welt, einen Menschen, den wir alle lieben können.
Du erschaffst Leben, Schatz, du … du lebst das Leben. Ich finde das richtig wundervoll, wenn ich ehrlich bin. Ich bekomme ein kleines Enkelkind, das ich liebhaben
kann … wie könnte ich das schlimm finden? Und ich finde, dein Freund ist einfach zauberhaft, wirklich, ein richtiger Gentleman.
Und man kann sich so gut mit ihm unterhalten, er ist so intelligent.» Und dann holt sie ein Taschentuch hervor, wischt sich
die Augen und putzt sich die Nase. «Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit dir schwanger war. Diese wunderbare, unschuldige
Hoffnung, diese Vorfreude.»
«Dann bist du wirklich nicht enttäuscht? Du bist nicht böse?»
«Nein. Nein, wirklich nicht.»
«Du denkst auch nicht, wir sind verrückt, weil wir es behalten wollen, obwohl wir uns doch gerade
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