Die Wahrheit
Fall wurde aufgerufen. Es ging um positive Diskriminierung an öffentlichen Universitäten - oder vielmehr mit dem, was davon noch übrig war. Frank Campbell, der Anwalt, der zugunsten der positiven Diskriminierung plädierte, hatte kaum seinen ersten Satz beendet, als Ramsey ihn schon mit einem Hammerschlag unterbrach.
Der Oberste Richter wies auf den vierzehnten Verfassungszusatz hin, der eindeutig besage, daß niemand diskriminiert werden dürfe. Bedeute dies nicht, daß auch eine positive Diskriminierung gemäß der Verfassung unzulässig sei?
»Aber es gibt vielfache Strömungen, die ...«
»Warum wird Vielfalt mit Gleichheit gleichgesetzt?« unterbrach Ramsey den Anwalt.
»Sie gewährleistet, daß es breiten und verschiedenartigen Studentengruppen ermöglicht wird, unterschiedliche Ideen zu artikulieren, unterschiedliche Kulturen zu repräsentieren - was wiederum dazu beiträgt, der Ignoranz und den vorgefaßten Meinungen entgegenzuwirken.«
»Beruht Ihre gesamte Begründung nicht auf der Prämisse, daß Schwarze und Weiße anders denken? Daß ein Schwarzer, der von Eltern großgezogen wurde, die gut situierte Professoren an einem College in ... sagen wir ... San Francisco sind, vollkommen andere Werte und Vorstellungen in eine Universität einbringt als ein Weißer, der in genau demselben sozialen Umfeld in San Francisco aufgewachsen ist?« Ramseys Stimme klang skeptisch.
»Ich bin der Ansicht, daß alle Menschen verschieden sind«, erwiderte Campbell.
»Aber sollte man nicht meinen, daß die Ärmsten in diesem Land ein größeres Recht auf eine helfende Hand haben, ohne dabei die Hautfarbe ins Spiel zu bringen?« fragte Richterin Knight. Ramsey schaute neugierig zu ihr hinüber. »Ihre Begründung aber macht keinen Unterschied zwischen Reich und Arm, nicht wahr?« fügte Knight hinzu.
»Das ... ist richtig«, gab Campbell zu.
Michael Fiske und Sara Evans saßen in einem gesonderten Teil der Ränge, im rechten Winkel zum Richtertisch. Während Michael der Befragung lauschte, warf er Sara einen Blick zu. Sie schaute ihn nicht an.
»Man kommt nicht um die Buchstaben des Gesetzes herum, nicht wahr? Damit würden wir die Verfassung auf den Kopf stellen«, beharrte Ramsey, nachdem er schließlich den Blick von Elizabeth Knight abgewandt hatte.
»Was ist mit dem Geist hinter diesen Buchstaben?« erwiderte Campbell.
»Geister sind gestaltlos. Ich ziehe es vor, mich mit greifbaren und konkreten Dingen zu beschäftigen.« Ramseys Worte riefen auf den Rängen vereinzeltes Gelächter hervor. Der Oberste Richter setzte seine verbale Attacke fort und nahm mit tödlicher Präzision Campbells Präzedenzfälle und Argumentation auseinander. Elizabeth Knight schwieg und schaute starr vor sich hin; sie war mit den Gedanken offensichtlich irgendwo anders, nur nicht in diesem Gerichtssaal. Als die rote Lampe an Campbells Pult anzeigte, daß seine Redezeit zu Ende war, rannte er beinahe zu seinem Tisch zurück. Und als der Anwalt der gegnerischen Partei zum Richtertisch trat und mit seinem Plädoyer begann, konnte man fast den Eindruck gewinnen, die Richter würden gar nicht mehr zuhören.
»Mann, Ramsey geht aber ganz schön zur Sache«, bemerkte Sara. Sie und Michael saßen in der Cafeteria des Gerichtsgebäudes; die Richter hatten sich zu ihrer traditionellen Nachbesprechung in den Speisesaal zurückgezogen. »Er hat den Anwalt der Universität in fünf Sekunden auseinandergenommen.«
Michael schluckte einen Bissen von seinem Sandwich herunter. »Ramsey sucht schon seit mindestens drei Jahren nach einem Fall, um der positiven Diskriminierung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tja, und jetzt hat er ihn gefunden. Sie hätten sich außergerichtlich einigen sollen, statt den Fall vor dieses Gericht zu bringen. Ramsey wird reinen Tisch machen.«
»Glaubst du wirklich, er geht so weit?«
»Machst du Witze? Warte mal ab, bis du die Begründung siehst. Ramsey wird sie wahrscheinlich selbst schreiben, damit er so richtig seine Freude daran hat. Die Sache ist gestorben.«
»Ich kann seine Argumentation zum Teil nachvollziehen.«
»Na klar. Sie ist ja auch offensichtlich. Eine konservative Gruppe hat den Fall vorgebracht und die Klägerin sorgfältigst ausgesucht. Weiß, intelligent, aus der Arbeiterschicht, fleißig, hat nie eine Zuwendung oder ein Stipendium bekommen. Und das Beste ... die Klägerin ist eine Frau!«
»Es ist verfassungsmäßig verankert, daß niemand diskriminiert werden darf.«
»Sara, du weißt,
Weitere Kostenlose Bücher