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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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grün gesprenkelten Licht zwischen den Bäumen hindurch, lasse die Hände durchs Gras und an der Baumrinde entlangstreifen. Die einfallende Sonne wird gekühlt von den Zitrusblättern. Ich halte mir die Hände ans Gesicht. Ich rieche die Säuren, die Öle. Mir wird klar, dass ich in mancher Hinsicht von meiner alten Stadt, von dem, was aus ihr geworden ist, wie verzaubert bin. Verzaubert und frustriert. Darf man sich ganz der Liebe zu etwas überlassen, das unvollkommen ist, das falsch ist? Man darf, möchte ich sagen. Irgendwie möchte ich mich der Stadt anheimgeben. Ich weiß, ich könnte in ihren Schoß zurückkehren,mich Elbas Liebkosungen überlassen, Abel, Tora und meine Rolle in dem Ganzen vergessen. Ich könnte das Mädchen großziehen, vielleicht auch eine eigene Familie gründen. Von vorn beginnen. Wobei das eventuell nicht geht. Elba ist in einem Alter, in dem es für sie gefährlich wäre, Kinder zu gebären. Eine Ersatzfamilie also. Etwas Unvollkommenes, Unvollständiges, Unreines. Für Reinheit ist die Geschichte zu weit fortgeschritten.
    Und zu viele Fragen. Zu viel Unerledigtes, um in einem ruhigen Leben Befriedigung zu finden.
    Einige Früchte hängen so tief, dass ich mich ducken muss, während ich unter den Ästen durchgehe. Hier und da ist es dunkel unter dem dichten Laub. Ich gehe tief in den Garten hinein und sehe niemanden. Nur meine eigenen Schritte sind zu hören. Ich staune über die Fülle an Früchten. Manche sind überreif, als gäbe es so viele, dass man sich gar nicht die Mühe machte, alle zu pflücken. Zu meiner Zeit haben wir geerntet, was wir nur konnten, und den Garten zum Schutz vor Diebstahl bewacht. Aber hier ist niemand.
    Ich komme plötzlich aus den Bäumen heraus und stehe auf einer sonnenüberfluteten Lichtung. Statt Bäumen hohes grünes Gras, und in der Mitte, ganz ungewöhnlich für unsere Siedlung, eine Hütte aus Stein von etwa vier mal vier Metern. Obwohl sich die Umgebung stark verändert hat, habe ich relativ leicht hierhergefunden. Seinerzeit gab es hier nur ein paar Bäume. Bäume von kräftigerem Wuchs als die Orangen. Ich sehe, dass sie zum Teil sogar noch da sind, noch im Kreis um die Hütte herumstehen.
    Ich hatte den Platz einzäunen lassen. Er lag eine Meile vom Stadttor entfernt, nicht ganz außer Sicht. Jetzt bin ich schon hundert Meter über die Gräber gelaufen. Hier haben wir sie beigesetzt,hier, wo sie gestorben sind. Wir fingen bei der Hütte an und begruben sie in einer Kreisspirale darum herum, da immer neue hinzukamen.
    Wir bestatteten sie in flachen Gräbern mit dem Gesicht zum Himmel. So konnten sie nach der Überzeugung einiger in einer besseren Welt wiederauferstehen, einer Welt, die erst durch ihr Hinscheiden möglich geworden war. Oft teilten sich mehrere Tote ein Grab. Wir begruben sie, doch die Beerdigung war kein Vergessen, sollte kein Vergessen sein. Mich ärgert, dass offenbar die Merksteine entfernt worden sind. Wir hatten die Gräber jeweils sorgfältig mit einem kleinen Steinhaufen gekennzeichnet. Aber sie sind gar nicht weg. Ich stochere mit dem Fuß im Gras und stoße auf einen. Nicht entfernt, nur verkommen und vergessen. Wenigstens sind sie noch da, aber sie sollten nicht so überwuchert sein. Wenn es so schlimm war, was wir diesen Menschen angetan haben, warum bewahrt man dann ihr Gedächtnis nicht? Die Gräber so von Gras und Obstbäumen überwuchern zu lassen, das ist kein Gedenken. Im Geiste sehe ich einen Leichnam in der Erde liegen. Die Wurzeln des Orangenbaums durchdringen die Erde, durchdringen den Leichensack, durchdringen den Körper. Die Früchte der Bäume, von denen die Stadt lebt, nähren sich vom Tod unserer Ahnen.
    Andererseits sind ein Obstgarten und ungestörter Friede natürlich besser als trockener Boden, pralle Sonne und ein paar kleine Gedenksteine in karger Landschaft.
    Ich habe den Stein von der Insel dabei. Ich nehme ihn aus der Tasche und schaue mich auf der Lichtung nach einem Platz für ihn um. Keiner bietet sich an. Es hat etwas von einer leeren Geste, aber ich lege den Stein vor mir auf den Boden. Er ist dunkler als die, auf die ich gestoßen bin. Ich richte mich auf und hole tief Luft. Ich fühle mich selber leer.
    Ich gehe zu der Hütte. Das einzige Fenster ist mit Brettern vernagelt, wenn auch nicht ganz. Die Bretter bilden ein X. Die Tür ist zugenagelt. Ich spähe hinein. Es dauert einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Viel zu sehen gibt es nicht. Ein weißer Schemen

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