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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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auszumerzen, weil ich nicht dulden könnte, daß ein so beschaffenes Wesen weiterhin morden und zerstören kann. Ich glaube nicht, daß noch einer von seiner Art im Wald lebt, aber ich bin mißtrauisch geworden wie meine Katze. Mein Gewehr hängt immer geladen an der Wand, und ich gehe keinen Schritt weg, ohne mein scharfes Knickmesser. Ich habe viel über diese Dinge nachgedacht, und vielleicht bin ich jetzt so weit, daß ich auch die Mörder verstehen kann. Ihr Haß auf alles, was neues Leben erschaffen kann, muß ungeheuer sein. Ich verstehe es, aber ich muß mich gegen sie zur Wehr setzen, ich persönlich. Es gibt ja keinen Menschen mehr, der mich beschützt oder der für mich arbeitet, damit ich mich ungestört meinen Gedanken hingeben kann.
    Da das Wetter im April halbwegs schön blieb, beschloß ich, den Erdapfelacker zu düngen. Der Misthaufen war angewachsen, und ich füllte zwei Säcke undschleppte sie auf Buchenzweigen zum Acker. Ich breitete den Mist in die Furchen und verteilte die Erde darüber. Audi das Bohnengärtchen düngte ich; dann gab es schon wieder Heu aus der Schlucht zu holen, und dann wurde das Holz knapp, und ich verbrachte eine Woche mit Sägen und Hacken. Ich war müde, aber froh, daß die Arbeit wieder begonnen hatte und daß es abends schon lange hell blieb. Die Frage einer Übersiedlung auf die Alm beschäftigte mich von Tag zu Tag mehr. Das Unternehmen schien mir schrecklich mühsam, selbst wenn ich nur das Notwendigste mitnehmen und ganz primitiv auf der Alm hausen wollte. Außerdem machte ich mir Gedanken wegen der Katzen. Es hieß ja immer, sie hingen mehr am Haus als an einem Menschen. Ich wollte sie unbedingt mitnehmen, aber das konnte auch unglücklich ausgehen. Je länger ich darüber nachdachte, desto unüberwindlicher erschienen mir die Schwierigkeiten. Ich durfte ja die Bachwiese und den Erdapfelacker nicht vergessen. Die Heuernte mußte eingebracht werden, und das bedeutete täglich einen Weg von sieben Stunden und noch die Arbeit dazu. Die Holzarbeit für den Winter mußte ich auf den Herbst verschieben, und den ganzen Sommer hindurch würde es keine Forellen geben. Während ich hin und her überlegte und den Plan undurchführbar fand, wußte ich schon, daß ich längst entschlossen war, auf die Alm zu gehen. Es war nützlich für Bella und den Stier, und ich mußte die Arbeit einfach leisten können. Es hing für uns alle viel zuviel vom Gedeihen der beiden ab, als daß ich auf mich Rücksicht hätte nehmen dürfen. Die Waldwiese war wohl auch nicht ausreichend für zwei Rinder, und das Heu von der Bachwiese mußte ich für den Winter sparen. Nachdem ich erkannt hatte, daß ich den Umzug längst beschlossen hatte, nämlich schon als ich die grünen Matten der Almzum erstenmal gesehen hatte, wurde ich ruhiger, aber auch ein wenig bedrückt. Ich wollte bleiben, bis ich die Erdäpfel eingelegt hatte, und doch versuchen, bis dahin einen Holzvorrat anzulegen. Das Wetter blieb schön, aber ich wagte nicht, die Erdäpfel einzulegen, es konnte noch immer einen Rückschlag geben. So verlegte ich mich also auf die Holzarbeit. Ich arbeitete langsam, aber jeden Tag, und schichtete die Scheite rund um die Hütte auf. Und schließlich kam ein Sonntag, an dem ich nur die Stallarbeit tat und die übrige Zeit schlief. Ich war so müde, daß ich mir einbildete, nicht mehr aufstehen zu können. Am Montag ging ich aber doch wieder zum Scheiterstoß und schleifte Holz herbei.
    Der Frühling blühte rund um mich, und ich sah nur Holz. Der gelbe Sägemehlhaufen wuchs von Tag zu Tag an. Harz klebte an meinen Händen, Splitter staken in der Haut, die Schultern schmerzten, aber ich war wie besessen von dem Wunsch, möglichst viel Holz zu schneiden. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich war viel zu müde, um hungrig zu sein, und versorgte meine Tiere wie ein Automat. Eigentlich lebte ich nur von Milch, nie zuvor hatte ich so viel Milch getrunken. Und dann ganz plötzlich wußte ich, daß ich aufhören mußte. Ich hatte gar keine Kraft mehr übrig. Ich tauchte aus meinem Arbeitstaumel auf und ging ein paar Tage im Schlafrock und in Pantoffeln umher und pflegte mich. Langsam fing ich auch wieder an zu essen, Brennesselspinat und Erdäpfel.
    Inzwischen hatte die Katze ganz aufgehört, sich um ihren wilden Sohn zu kümmern. Wenn er sich ihr täppisch näherte, ohrfeigte sie ihn und gab ihm deutlich zu verstehen, daß seine Kindheit ein Ende gefunden hatte. Tiger hatte richtige Lausbubenmanieren

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