Die Wanderapothekerin 2: Aufbruch (German Edition)
Gefahr, an diesen ausgeliefert zu werden.
Unwillkürlich wurden Klaras Schritte länger, denn sie wollte die Grafschaft so rasch wie möglich hinter sich lassen. Gerade, als sie die Häuser des ersten Dorfes der nächsten Herrschaft zwischen den Bäumen auftauchen sah, veränderten sich die Rufe im Wald. Jubel klang auf, und sie glaubte auch, die Worte »Wir haben sie!« zu verstehen.
Kurz darauf kamen die Stimmen deutlich näher. Klara wich in den Wald zurück und versteckte sich hinter einem dicken Baumstamm. Von dort aus konnte sie unbemerkt zusehen, wie Benno von Güssberg auf einem großrahmigen Rappen an der Spitze seiner Jäger und Treiber vorbeiritt. Er brauchte das starke Pferd, denn ein kleineres wäre unter seiner wuchtigen Erscheinung wohl zusammengebrochen. Gekleidet war er in schwarze Kniehosen, einen roten Rock, ein Rüschenhemd und einen federgeschmückten Dreispitz. Am meisten fiel ihr die prall gefüllte und reich bestickte Geldkatze auf, die er am Gürtel trug, als wolle er mit seinem Reichtum protzen. Sein Gesicht drückte eine so grimmige Zufriedenheit aus, dass Klara diesen Mann schon deswegen verabscheute. Insgesamt wirkte er auf sie so unangenehm und aufgeblasen, dass sie hoffte, nie etwas mit ihm zu tun haben zu müssen.
Die Jagdaufseher des Grafen folgten ihrem Herrn zu Fuß und führten eine Gefangene mit sich. Sie hatten der angeblichen Hexe Martha die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und hielten sie an zwei Stricken wie ein wildes Tier. Ihre Hunde strichen der jungen Frau um die Füße und bissen immer wieder in ihren zerfetzten Rock und – wie Marthas blutende Waden verrieten – in ihre Beine. Auch sonst sah die Gefangene übel aus. Ihr linkes Auge war fast ganz zugeschwollen, ihre rechte Wange blutverkrustet, und sie wimmerte vor Schmerz.
Ihre Peiniger verspotteten sie, und selbst einige der Dörfler, die sich nur gezwungenermaßen an der Jagd beteiligt hatten, lachten sie aus, und sei es nur, weil sie froh waren, dass die Jagd endlich vorüber war und sie an ihre Arbeit zurückkehren konnten. Andere hingegen wirkten so mürrisch, dass Klara es dem Grafen nicht geraten hätte, diesen in der Nacht zu begegnen.
Erst als der Zug vorbei war, wagte Klara sich zurück auf die Straße. Der Verstand riet ihr, rasch weiterzugehen und die Begebenheit zu vergessen. Aber nach wenigen Schritten erreichte sie einen großen, direkt am Weg liegenden Stein, welcher auf der ihr zugewandten Seite das Wappen trug, das sie als Fahne auf dem Schloss des Grafen von Güssberg entdeckt hatte, auf der anderen Seite aber ein ihr unbekanntes. Also hatte Graf Benno sich nicht an die Grenzen seines kleinen Reiches gehalten, sondern die angebliche Hexe Martha auf fremdem Gebiet gefangen genommen.
Bei dem Gedanken empfand Klara eine Wut, als hätte man ihr selbst ein schweres Unrecht zugefügt. Was dachte dieser Mann sich eigentlich, sich zum allmächtigen Richter aufzuschwingen? Ohne zu überlegen, was sie da tat, machte sie kehrt und folgte dem Zug.
Erst als sie das Heimatdorf der Gefangenen erreicht hatte, fragte sie sich, was in sie gefahren war. Für einen Rückzug war es jedoch zu spät, denn sie war bereits entdeckt worden. Einer der Jagdgehilfen des Grafen kam auf sie zu, drehte sich aber auf den Ruf eines Kameraden um und deutete mit dem Daumen auf sie. Mit einem Mal bekam Klara es mit der Angst zu tun. Wenn sie sofort wieder ging, würden die Kerle gewiss misstrauisch werden. Deshalb gesellte sie sich zu einigen Frauen und beobachtete, wie der Graf sich mit seinen Begleitern auf dem frischen Grün des Dorfangers breitmachte und nun eine Ansprache hielt.
»Dieses Weib«, rief er und wies auf Martha, »ist eine Hexe! Sie hat einen Geisterbären beschworen, der meine und eure Tiere fressen soll. Die Teufelskreatur wird erst verschwinden, wenn die Hexe ihre gerechte Strafe erhalten hat.«
»Und was ist in deinen Augen die gerechte Strafe?«, murmelte Klara vor sich hin.
Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Der Graf sah sich so grimmig um, als wolle er die Menschen noch mehr einschüchtern, und rief: »Die Hexe wird heute Nacht an der Stelle, an der ihr Bär meine Schafe gerissen hat, an einen Pfosten gebunden und mit Honig bestrichen. Wenn der Bär sie verschmäht, ist sie ihrer üblen Taten überführt. Frisst er sie jedoch, so mag sie auf diese Weise zur Hölle fahren!«
Einige johlten, während Martha sich in ihren Fesseln wand. »Ich bin keine Hexe!«, rief sie verzweifelt. »Ich
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