Die Wanderbibel
anderen Mittelgebirgen beobachten, am Horizont finden sich dann eben keine deformierten Alpen, sondern andere Berge.
Da war er plötzlich wieder, der Spaßterrorist: Er schob sein Rad an mir vorbei, schwang sich auf den Sattel und bewegte sich auf den Steilpfad zu, den wir beim Abstieg wählen wollten. Ich hatte einen Schrei auf den Lippen, doch weg war er. Dutzendfach hatten wir schon Mountainbiker ausgebremst, hatten uns todesmutig in den Weg gestellt, um ihnen Vorträge zu halten: »Wissen Sie, dass Sie nur auf Wegen fahren dürfen, die mindestens zwei Meter breit sind …«, »Wissen Sie, dass Sie eine Ord nungswidrigkeit nach dem Landeswaldgesetz begehen …«, »Wissen Sie, dass ein Mountainbiker so viel Schaden anrichtet wie zwanzig Wanderer …« Nein, wir hatten keinen dieser martialischen Männer in der Midlife-Crisis überzeugen können, doch lieber mit dem Motorrad zu fahren, um in einer unübersichtlichen Kurve an einem armen, aber hoffentlich robusten Baum sein Leben auszuhauchen. Schwere Verletzungen wünschen wir ihm ja gar nicht, wir sind ja gute Menschen. Im Prinzip. Wie oft hatte ich schon das Reinhold-Messner-Zitat auf den Lippen, dass die Menschheit den Planeten verlassen werde, wenn sie nicht lernte, wieder zu Fuß zu gehen, und wie oft war der Delinquent dabei schon außer Sichtweite? Mein Lieblingsspruch lautet übrigens: »Wenn Sie die ganze Strecke zu Fuß gehen würden, täte der Ranzen verschwinden.«
»Wunderschön. Immer wieder!« Anja kam zurück und pries nicht die Aussicht. Sie berichtete vielmehr von einem orangefarbenen Sack, der in einem Baumwipfel hing. Sie vermutete, dass es sich dabei um einen Gleitschirm handelte. Wie sich wohl der arme Flieger befreit hatte? Mit einem Taschenmesser? Ob er sich verletzt hatte?
»Nach der Siesta bin ich vollkommen gerädert«, gestand ich Anja, »ich glaube, ich habe deinen Kater übernommen.« Anja hüpfte den Steilpfad nach unten, ich schlich ihr hinterher. Da: wieder ein Quietschen, dann ein Schrei: »Achtung!«, rief es hinter mir. Wieder ein Spaßterrorist, wieder ein Mountainbiker. »He! Sie haben sich verfahren, das ist kein Radweg, Sie brauchen ein Navi!«, belehrte ich den roten Radler. »Verpiss dich!«, brüllte er mich an. Mich überfielen üble Fantasien. Nächstes Mal nehmen wir die Wanderstöcke mit, besser einen Baseballschläger, ich könnte ihn mit Steinen vom Rad holen, wir zertrümmern unsere gesammelten leeren Weinflaschen und streuen die Scherben auf den Weg. »Wo bleibst du?«, rief Anja, die an einer Kreuzung auf mich wartete: »Hast du den kleinen Schwätzer gehört?« Weshalb wandern wir Idioten an einem Samstag auf einen der beliebtesten Aussichtsberge der Region? Weshalb flanieren wir nicht durch ein Kaufhaus in Karlsruhe, ich bräuchte dringend Shorts für den Sommer? Wieso kontrollierten keine Förster die Pfade, die sind doch bewaffnet und könnten die Verbrecher vom Rad holen? Ich solle mich beruhigen, empfahl Anja, wir seien doch nun in Sicherheit. Ab hier, bis runter ins nächste Dorf, könne gar nichts mehr passieren, da hätten wir Ruhe vor den Spaßterroristen. »Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich, derweil zweihundert Meter hinter uns ein weiterer Mountainbiker den Wald querte. »Na, ganz einfach: Hier ist der Radweg, da begegnest du garantiert keinem Mountainbiker.«
5 Unten ohne oder fast ohne alles
Warum Barfuß- und Nacktwandern trendy ist
Raus aus den lästigen Klamotten, Wanderschuhe an und ab in den Wald. Nacktwandern ist voll im Trend. Immer mehr Menschen suchen bei ihren Wandertouren den hautnahen Kontakt mit Wind, Sonne, Temperatur und verzichten daher auf Hemd und Hose.
Fragt man einen Nacktwanderer nach seinen Beweggründen, bekommt man meistens zu hören, man sei ja auch nicht angezogen zur Welt gekommen, und überhaupt, nackt könne man die Natur ganz anders erleben.
Schließlich wandere man doch in erster Linie, um die Natur zu genießen. Aber dann bitteschön mit allen Sinnen. Kleidungsstücke wirken dabei nur als störender Puffer.
Gerne wird von Nacktwanderern auch der alte Goethe zitiert. Fabulierte doch Deutschlands oberster Dichterfürst in seiner Autobiografie »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit«: »Die Pantoffeln warf ich von mir, und so eine Hülle nach der andern; ja ich fand es endlich bei dem warmen Tage sehr angenehm, ein solches Strahlbad über mich ergehen zu lassen. Ganz nackt schritt ich nun gravitätisch zwischen diesen willkommnen Gewässern einher, und
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