Die Wanderbibel
dachte, mich lange so wohl befinden zu können.« Na also!
Einen ideologischen Unterbau finden Nacktwanderer im »Zurück zur Natur« der Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Lebensreformbewegung, als die ersten FKK- Pioniere – getragen von einem romantischen Naturverständnis – bei ihren Wanderungen auf einengende Klei dung verzichteten. Eigentlich logisch, war das doch damals schweres Lodenzeug und keine ultraleichte Funktionswäsche.
Das deutsche Wissensmagazin »P.M.« beantwortete in seiner Ausgabe vom April 2009 die Frage »Was ist so schön am Nacktwandern?« mit dem Satz: »Das besondere, durch das Nacktsein intensivere Fühlen von Körper und Natur und das dadurch entstehende Gefühl von Freiheit … könne nicht erklärt, sondern müsse erlebt werden.«
Andere Nacktwander-Enthusiasten führen gesundheitliche Aspekte an. Sie verweisen auf die Energieströme, die in Längsrichtung durch den Körper fließen und es auf den Tod nicht leiden können, wenn etwas quer getragen wird. Da bringt bereits ein winziger Tanga den Energiefluss zum Erliegen.
Von Sex und Schmuddelkram distanzieren sich Nacktwanderer übrigens genauso energisch wie von der Behauptung, sie seien quasi der militante Flügel der FKK-Bewegung.
Vollkommen nackt wandern allerdings die wenigsten von ihnen. Im Gegensatz zu den »Barfußwanderern«, mit denen wir uns gleich im Anschluss beschäftigen wollen, tragen Nacktwanderer meist Wanderschuhe nebst Socken, um ihre Füße auf steinigen Pfaden vor Verletzungen zu schützen. Aber wohin mit Autoschlüssel, Sonnencreme (!) und anderen dringend benötigten Utensilien? Man kann ja bekanntermaßen einem nackten Wanderer nicht in die Tasche greifen. Auch hier gibt es Lösungen, nämlich in Form von kleinen Schulter- oder Gürteltaschen, die jedoch eine nahtlose Bräune verhindern. Bei längeren Wanderungen ist ein Rucksack zur Mitnahme von Proviant und Getränken vonnöten.
Und wo bitteschön kann man nackt wandern? Eigentlich überall, wo es landschaftlich schön ist, behaupten Textilloswander-Enthusiasten – also überall, nur nicht in Holland. Hüllenlos Wandernde bevorzugen meist weniger frequentierte Wege, während Dörfer, Massenwanderwege und Waldgrillplätze als No-go-Areas gelten. Schließlich verstehen Nacktwanderer ihre Nacktheit nicht als Provokation und wollen keinesfalls den sozialen Frieden zwischen Unbekleideten und Bekleideten an nicht ausdrücklich für FKK vorgesehenen Orten stören.
Einen Verhaltenskodex für Begegnungen von Nacktwanderern mit Normalowanderern gibt es (bisher noch) nicht. In den zahlreichen auf dem Markt befindlichen Benimmratgebern wie etwa »Der große Knigge« oder »knigge.de – Manieren per Mausklick« findet Nacktwandern nämlich nicht statt. Viele Fragen bleiben also ungeklärt. Fragen wie etwa: Wer grüßt zuerst – der nackte oder der bekleidete Wanderer? Oder: Wohin darf der Blick gerade noch schweifen und wohin nicht?
So veranstalten diverse FKK-Gruppen und andere Organisationen regelmäßig geführte Nacktwanderungen in deutschen Mittelgebirgen wie dem Spessart, der Eifel, dem Taunus oder dem Pfälzer Wald und sogar in den Schweizer Alpen.
Und auch der erste Nacktwanderführer ist bereits auf dem Markt. Wenn auch (noch) nicht für Deutschland, dann wenigstens für Spanien. »Wandern mit nix – Sieben Strip-Trips durch Andalusien« heißt der 2006 im mYm-Verlag erschienene Reiseführer, in dem das Autorenpaar Gramer sieben Wanderrouten im Süden der Iberischen Halbinsel beschreibt. Die einzelnen Tourenvorschläge wur den übrigens praktischerweise mit Angaben zur sogenann ten »Schamstufe« versehen, sodass der geneigte Leser schon im Vorfeld entscheiden kann, welche Tour er sich schamtechnisch zutrauen kann und welche nicht. Apropos schämen: Nimmt man die Fotos, die Nacktwanderer in Aktion zeigen und von diesen als Werbemaßnahme für ihr Freizeitvergnügen ins Internet gestellt wurden, etwas genauer unter die Lupe, stellt man rasch fest, dass es sich bei der Gruppe der Hüllenloswanderer eher um uneitle Menschen handelt. Durchtrainierte, anabolikagestärkte Adonisse oder dem Diätwahn verfallene Pamela-Anderson-Klone sucht man hier vergebens. Kein Wunder, gehört es doch zu den Grundüberzeugungen der Naturisten, dass man sich seines Körpers nicht schämen muss.
In Sachsen-Anhalt, im Landkreis Quedlinburg, wurde im Mai 2010 sogar Deutschlands erster offizieller Nacktwanderweg, der sogenannte »Harzer Naturistenstieg« – sogar mit
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