Die Wanderbibel
oder Paragliding nicht erst mühsam erlernt werden muss. Gehen kann jeder. Selbst bei stundenlangem Gehen kann man kaum etwas falsch machen, die richtige Bewegung beherrschen wir alle automatisch. Oder vielleicht fast alle: Der durch den Watergate-Skandal 1974 an die Macht gekommene US-Präsident Gerald Ford wurde von seiner eigenen Bevölkerung nämlich nicht gerade für »multitaskingfähig« gehalten. Er könne, so lautete damals ein gängiger Witz, nicht einmal spazieren gehen und gleichzeitig Kaugummi kauen.
Auch wenn die Krankenkassen schon längst den gesundheitlichen Wert des Wanderns erkannt haben: Wandern auf Krankenschein gibt es nicht – noch nicht. Die AOK Hessen setzt allerdings bereits auf den Trendsport Wandern und belohnt ihre wandernden Mitglieder mit sogenannten Bonuspunkten. Die gibt’s für alle Kassenpatienten, die an Wanderungen teilnehmen, die von Gebietsvereinen des Hessischen Wanderverbands organisiert werden. Am Ende des Jahres kann man die Punkte dann in bares Geld umwandeln. Allerdings reicht das gerade mal für einmal Essen gehen beim Italiener und ein Fünferpack Noisette.
Aber ist Wandern mit all seinen beschriebenen Vorteilen tatsächlich die Gesundheitssportart Nummer eins? Also ein Freizeitvergnügen an der frischen Luft, dem – geprägt von einer mäßigen Anstrengung und einer doch eher gemächlichen Fortbewegung – so jegliches Risiko abgeht?
Nein, nur gesund, kaum harmloser als ein gemütlicher Spaziergang und so ganz ohne Risiko ist Wandern nicht. Zumindest, wenn man den, wenn auch nur spärlich vorhandenen, Statistiken folgt.
So teilte das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) in Wien mit, dass sich 2008 immerhin rund 7500 Menschen beim Wandern oder Bergsteigen in Österreich so schwer verletzten, dass sie zur Behandlung ein Krankenhaus aufsuchen mussten. Damit liegen Wandern und Bergsteigen in der österreichischen Unfallstatistik immerhin auf Platz 6, bei den Alpinsportarten sogar auf Platz 2. Und überraschenderweise sind es nicht die Bergsteiger, die den Löwenanteil der »Verunfallten« stellen, wie das in bestem Amtsdeutsch heißt, sondern die Wanderer!
Auch die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich beim simplen Bergwandern. Erst dann folgen mit großem Abstand Klettern und Hochtourenbergsteigen.
Unfallursache war bei mehr als drei Viertel der Verletzten ein Sturz. Knapp jeder zweite Verletzte zog sich einen Knochenbruch zu, jeder vierte eine Sehnen- oder Muskelverletzung. Generell sind das Fußgelenk und der Knöchel am häufigsten betroffen. Im Klartext: Der Wanderer »überknöchelt«, bleibt hängen oder stolpert gerne. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Bergunfallstatistik des Deutschen Alpenvereins für die Jahre 2006/07. In dieser Statistik werden alle Unfälle der rund 768.000 DAV-Mitglieder erfasst. Und auch hier ist Bergwandern, wie übrigens schon in den Vorjahren, mit 30 Prozent aller Unfälle die Bergsportdisziplin mit den höchsten Unfallzahlen.
Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass Bergwandern auch die am meisten ausgeübte Bergsportdis ziplin ist: Rund 90 Prozent der DAV-Mitglieder gaben bei einer Befragung an, sie seien Bergwanderer. Mehr als die Hälfte aller DAV-ler stolperte, knickte um oder rutschte aus, 20 Prozent bekamen körperliche Probleme, allen voran Herz- und Kreislaufprobleme, oder litten an Erschöp fung.
Wie schnell übrigens ein Wanderunfall auch einem erfahrenen Berggeher passieren kann, und zwar mit gar nicht harmlosen Verletzungen, musste ich am eigenen Leib erfahren. An einem völlig banalen Hang eines belanglosen Berges im Bregenzerwald, dem Toblermann, rutschte ich ab und stürzte höchstens zwei Meter tief. Tags darauf war im Lokalblatt zu lesen: »Gestern rutschte ein 43-jähriger Deutscher während einer Wanderung in Schoppernau, Bereich Glattjöchle, auf dem steinigen Untergrund aus und stürzte mit dem Knie auf einen scharf kantigen Stein. Dadurch zog er sich eine Schnittwunde am linken Unterschenkel zu.« Es war ein Kaventsmann von Schnittwunde. Die kleine Zeitungsmeldung schließt mit den Worten: »Die Bergung erfolgte durch den Rettungs hubschrauber C8 zu einer Ordination nach Schoppernau.« Im Briefkasten fand ich einige Wochen später zwei Rechnungen, eine für die Helikopterrettung und eine für die Verarztung, zusammen knapp 6500 Euro. Selbst bezahlen musste ich sie nicht, schließlich bin ich Mitglied im Deut schen Alpenverein. Eine Mitgliedschaft ist grundsätzlich jedem nahezulegen, der
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