Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
gaben ihren Pferden die Sporen, der Graf allerdings versetzte sein Pferd in einen eher langsamen Kanter. Er hatte schon fast die halbe Strecke hinter sich, als er erkannte, dass Wirtho gar nicht daran dachte, kampflos das Feld zu räumen. Sein Brauner stürmte heran, und Wirtho hielt die Lanze fest umklammert. Verblüfft hob der Graf den Schild. Gerade noch zur rechten Zeit. Wirthos Lanze prallte gewaltig dagegen. Das Ortenburgsche Pferd schwankte, stolperte. Die Menge schrie auf. Der Graf kämpfte, um sich im Sattel zu halten. Sein Pferd kam wieder auf die Füße. Unwillig schüttelte der Rappe den Kopf und versuchte zu steigen. Gebhard von Ortenburg bändigte seinen Hengst und wendete. Der verblüffte Herold notierte eine Lanze für den Sohn des Truchsess.
Mit geschlossenem Visier trabte Wirtho zu seinem Bruder zurück, der ihm dabei behilflich war, die Lanze neu einzulegen. Im Lager des Ortenburgers entstand Tumult. Schmährufe drangen laut herüber. Kunigund von Brennberg war blass geworden. Sie tastete nach einer Sitzgelegenheit, fand jedoch nur die Arme ihrer Hofdame. Am liebsten hätte sie sich zurückgezogen. Berta von Eckmühl hingegen schien von dem Kampf hingerissen. Aufgeregt schnatterte sie ihrer Mutter ins Ohr, die sie mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen brachte, als sich die Ritter zum zweiten Waffengang bereit machten. Diesmal würde der Graf gewappnet sein.
Auf das Zeichen des Herolds preschten beide Pferde los. Nun war klar zu erkennen, dass das Pferd des Grafen ein erfahrener Tjoster war. Schnurgerade stürmte es voran, ohne auch nur einen Hauch von Ängstlichkeit, die Nüstern weit gebläht. Der Aufprall der Reiter war gewaltig. Wirtho hatte erneut die Finte versucht, seine Lanze im letzten Augenblick hochzureißen, doch sein Gegner hatte das erwartet und war deshalb vorbereitet. Die Lanze traf nicht Hals oder Helm, sondern lediglich den Schild. Die gräfliche Lanze dagegen bohrte sich knapp unterhalb von Wirthos Schild in dessen Seite. Der junge Ritter schrie auf vor Schmerz und krümmte sich zusammen. Schwer angeschlagen, aber immer noch im Sattel, hielt er auf sein Lager zu.
Kunigund von Brennberg beobachtete, wie der Waffenmeister auf ihren Sohn einredete. Der aber schüttelte den Kopf, ließ sich eine neue Lanze geben und stellte sich widerborstig seinem Gegner. Mit finsterer Miene sah der Graf den jungen Ritter kommen und schloss sein Visier. Auch er benötigte eine frische Lanze. Entschlossen trieb er sein Pferd erneut voran. Das Publikum tobte und brüllte. Das war endlich ein Zweikampf nach seinem Gusto. Erneut stürmten die Pferde voran, schwebten die Lanzen aufeinander zu. Der Graf traf als Erster. Sein Ziel war die verletzte Seite des Gegners. Der hatte zwar damit gerechnet und den Schild schützend tief gehalten, aber der Graf war ein gewaltiger Kämpfer. Die eigene Deckung aufs Spiel setzend, trieb er seine Lanze mit Macht gegen den Kontrahenten. Wirtho von Brennberg konnte den Angriff nicht abwehren. Er wurde aus dem Sattel geschleudert und blieb reglos liegen. Später berichtete einer der anderen Ritter, der junge Truchsess habe geweint wie ein Kind, als man ihn aus seiner Rüstung schälte.
Kunigund von Brennberg dagegen atmete erleichtert auf, als Graf Gebhard unverletzt vor der Tribüne der Damen erschien und sein Visier öffnete. Gottlob war wenigstens kein gräfliches Blut vergossen worden. Der Ortenburger empfing von Berta den Siegerkuss, der etwas länger dauerte, als es eigentlich schicklich war. Als Frau Kunigund sich zurückzog, fiel ihr noch ein anderer Mann auf, der mehr als zufrieden wirkte: Arigunds Vater Antonio DeCapella. Einen Moment schien die Gelegenheit günstig, ihn wegen Arigund und Reimar anzusprechen, doch dann ließ sie es lieber. In seiner jetzigen Verfassung würde sich ihr Gatte kaum für die Heiratspläne seines Jüngsten interessieren. Erst einmal musste er zu Hause mit Wirtho seine Wunden lecken. Für die beiden Kinder zu bitten, war auch später noch Zeit.
*
Alle hatten sich für das Abschlussbankett noch einmal in Schale geworfen. Der Eckmühler ließ die Küche auffahren, was die Vorratslager hergaben. Immer neue Gerichte wurden aufgetragen, und immer weitere Pokale mit blutrotem Wein oder dunklem Bier vor die Gäste gestellt. Arigund fluchte leise, dass Annelies ihr Kleid so fest geschnürt hatte. Sie kam sich vor wie eine vollgefressene Raupe. Erstaunt hatte sie gesehen, dass Wirtho trotz seiner Niederlage beim Bankett
Weitere Kostenlose Bücher