Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
hatten auf ihm geruht. Doch nirgends war sein haarloser Schädel oder der Zipfel seiner Soutane zu erblicken. Stattdessen zog ihr Vater sie weiter und weiter. Hilfesuchend sah sie sich um. Gab es denn hier niemanden, der ihre Not erkannte und Erbarmen hatte? Ehe sie recht zur Besinnung kam, war der Ehevertrag geschlossen und die Verheiratungsformel gesprochen. An Wirthos Seite wurde sie in die kleine Kapelle geschoben. Niemand hatte Einspruch erhoben. Kein Bote der Jungfrau Maria war gekommen, sie zu retten, obwohl sie doch so sehr darum gefleht hatte. Man hatte Arigund nicht einmal die Gelegenheit geboten, »nein« zu der Verbindung zu sagen, so wie es in den letzten Jahren Brauch geworden war. Ihr Vater hatte sie Wirtho einfach in die Hand gedrückt, als würde er wie bei einem verkauften Gaul dem neuen Besitzer die Zügel übergeben. Jetzt kniete der Ritter mit versteinertem Gesicht neben dem Mädchen und würdigte es keines Blickes. Kein Zweifel: Ihre alte Feindschaft war ungebrochen.
Nur ihr Vater und Kunigund von Brennberg, ihre neue Schwiegermutter, waren bester Laune. Beinahe schon vertraut miteinander, verließen sie nach dem Gottesdienst Seite an Seite die Kirche. »Hoch«-Rufe empfingen das Brautpaar, Blumenkinder warfen Blüten. Wirtho starrte mit einem so finsteren Blick in die Gesichter seiner Untertanen, dass sie Arigund fast schon wieder leidtaten. Zaghaft hob sie die Hand und winkte den Menschen zu, woraufhin die in weitere Freuden- und Jubelschreie ausbrachen. Verächtlich schnaufend zerrte sie Wirtho in den Palas, wo die Hochzeitsgesellschaft unter sich feiern würde. Für das gemeine Volk waren draußen Tische und Bänke aufgestellt worden. Schließlich gab es noch eine weitere Trauung.
*
Für Annelies hätte ihre Hochzeit nicht schöner ausfallen können. Arigund hatte ihr zum feierlichen Anlass eines ihrer Kleider geliehen, und so saß sie in feinstes Tuch gekleidet neben dem Rotbart, der ebenfalls strahlte. Mit dem heutigen Tag war sein Bann aufgehoben, und er durfte in seine alte Stellung als Pferdeknecht zurück. Er konnte sein Glück noch immer nicht fassen. Seine Freunde und das wenige an Familie, was er noch besaß, sprachen einen Trinkspruch nach dem anderen für ihn und seine wunderschöne Braut aus, manche recht zotig, doch alle gut gemeint. Luise gab zum hundertsten Mal die Geschichte zum Besten, wie Matthias sie vom Heuwagen gerettet hatte, und Lukki meinte, um ein Haar hätte sich Annelies von ihm verführen lassen. Die Männer lachten herzlich, und die Mädchen drehten dem Buben eine lange Nase. Der Stallmeister lobte seinen Knecht aufs Trefflichste und wurde nicht müde zu betonen, wie froh er sei, dass Matthias ihm wieder zur Hand gehen würde. Schließlich würden über den Sommer die jungen Pferde zugeritten werden, und dabei war keiner so einfühlsam wie der Rotbart. Dabei zwinkerte der alte Kerl anzüglich zu Matthias’ junger Frau herüber. Annelies schmiegte sich an Matthias’ Schulter. Dem ging das Herz über. Er beugte sich über den Nacken seiner frischgebackenen Frau und flüsterte: »Ich hatte schon beinahe vergessen, wie schön du bist«, und leckte sanft ihr Ohr.
»Ja, mein Liebster, du bist wahrhaft ein Glückspilz«, scherzte die Zofe. »Doch wenn du weiterhin so dem Bier frönst, wirst du deinen Rausch unterm Tisch ausschlafen statt in unserem Bett.«
»Das fiele mir im Traum nicht ein«, widersprach ihr Gatte. Seine Hand wanderte an einen Ort, der ihm als Ehemann vorbehalten sein würde. »Ich kann es gar nicht abwarten. Komm, lass uns von hier verschwinden. Wir können später wiederkommen … oder auch nicht.«
»Gemach, gemach, mein Herr Gemahl. Bis die Sonne sich senkt, wirst du dich schon noch gedulden müssen. Erst wollen wir mit diesen lieben Menschen feiern, denen wir so viel verdanken.«
Es wurde noch um einiges später, denn man wollte das Brautpaar nur ungern gehen lassen. Schließlich aber begleitete man die beiden frisch Vermählten doch in die Kammer, die man extra für heute liebevoll vorbereitet hatte. Der Boden war mit Blumen übersät und die Luft mit dem Duft süßlicher Kräuter geschwängert. In der Mitte hatte man ein Lager aus Stroh und wollenen Decken bereitet, und jemand hatte sogar ein paar Kerzenstummel aufgetrieben, deren warmes Licht geheimnisvoll flackerte. Matthias und Annelies mussten die anderen ausgiebig für ihre Mühe loben, bevor sie sich endlich aus der Tür drängen ließen und diese leise schlossen. Endlich waren
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