Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
bemüht, alles in Ordnung zu halten, aber Arigund hatte festgestellt, dass sie einfach nicht gut rechnen konnte. Daher wirkte sie fast erleichtert, als ihre Schwiegertochter zum Abakus griff und sich in die Papiere vertiefte. Beeindruckt beobachtete die Burgherrin, wie Arigunds Finger über die Kugeln flogen. Auf der Stirn des Mädchens bildete sich eine Falte. Zahlen wurden notiert und wieder durchgestrichen. Wieder und wieder zog das Mädchen die Unterlagen heran, bis sie endlich aufsah.
»Ihr habt Recht, Herrin. Es fehlen genau 150 Regensburger Pfennige.«
Frau Kunigund erschrak. »So viel? Wie kann das nur sein? Ich passe immer gut auf und zähle das Wechselgeld nach.«
Die Burgherrin schlug die Hände über dem Kopf zusammen. 150 Pfennige wären auch für einen reichen Haushalt eine erhebliche Summe. In dieser Burg, die finanziell sowieso schon schlecht dastand, kam es einer Katastrophe gleich.
»Einer vom Gesinde sicherlich«, schloss die Burgherrin sofort.
Doch Arigund widersprach: »Verzeiht, dass ich das bezweifeln möchte, doch seht, der Diebstahl wurde sehr geschickt durchgeführt: Wer auch immer das Geld genommen hat, war vorsichtig. Er oder sie nahm es nicht in einem. Seht her: Hier fehlen nur zwei Pfennige, dann sind es fünf. Nur einmal war der Dieb so dreist, gleich zehn zu nehmen. Solch kleine Beträge fallen nicht auf, in der Summe ist es dann aber doch viel. Zudem muss derjenige des Schreibens mächtig sein, denn seht, hier ist die Tinte zerkratzt und aus der Sieben eine Eins gemacht worden. So hat man zunächst den Eindruck, der Schreiber hätte sich lediglich verrechnet. Dasselbe hier vorne, nur dass aus der Acht eine Drei wurde.«
»Du hast recht, Arigund. Das kann nicht das Werk eines Dienstboten sein. Keiner von denen kann schreiben.«
Bis auf Annelies, dachte Arigund, doch das behielt sie für sich.
»Ein Ritter etwa? Aber auch die …«, die Burgherrin setzte den Satz nicht fort, sondern ballte die Faust vor dem Mund. »Was wird nur der Truchsess sagen?«, flüsterte sie verzweifelt.
»Wie geht es ihm denn überhaupt?«, erkundigte sich das Mädchen.
»Der Zahn ist schlimm. Er wird ihn verlieren. Wir haben bereits nach dem Bader geschickt.«
»Vielleicht ist es besser, ihn mit der Nachricht zu verschonen, bis es ihm besser geht. Und bis dahin können wir eventuell den Übeltäter ausfindig machen. Das würde den Truchsess gewiss milder stimmen.«
»Ach, Kind«, seufzte Frau Kunigund, »wie sollen wir denn das anstellen?«
»Zunächst einmal müsst Ihr das Geld an einem anderen Ort verwahren. Besitzt Ihr noch eine zweite Kassette?«
»Darin liegt mein Schmuck«, erklärte die Burgherrin.
»So nehmt das Geld an Euch, und verbergt es unter Eurem Geschmeide. Füllt sodann die Kiste mit wertlosem Tand. Legt eine ordentliche Schicht Geld darauf, damit man den Eindruck hat, sie wäre so voll wie eh und je. Dies Geld aber werden wir kerben. Mit etwas Glück wird der Dieb das nicht bemerken und es trotzdem nehmen. Sobald er die Münzen ausgibt, können wir den Weg des Geldes zurückverfolgen.«
»Wie klug du bist, Kind. Ich habe es noch an keinem Tag bereut, dich auf die Burg geholt zu haben«, lobte Frau Kunigund.
Dann geht es dir besser als mir, dachte das Mädchen und schluckte schwer. »Lasst die Arbeit aber von keiner Magd verrichten. Die reden zu viel«, warnte sie die Burgherrin.
»Dann schick mir doch bitte Annelies, der vertraust du doch?«
Arigund zögerte kurz, dann nickte sie. »Allerdings würde ich vorher gerne die Unterlagen der letzten Monate durchgehen. Wir müssen wissen, wie lange das schon so geht.«
»Wird dir das nicht zu viel?«, fragte die Burgherrin besorgt.
Arigund schüttelte den Kopf. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so wohl in ihrer Haut gefühlt.
Ihre Hochstimmung verflog allerdings rasch. Die Betrügereien und Diebstähle zogen sich schon über Monate hin. Anfangs waren die Beträge noch gering gewesen, weshalb es der Burgherrin auch nicht aufgefallen war. Seit zwei Monaten allerdings schien der Dieb keine Hemmungen mehr zu haben. Im Vormonat hatte er bereits über hundert Pfennige an sich genommen. Interessanterweise bediente er sich aber lediglich am Geld. Weder fehlten Schmuckstücke noch andere Wertgegenstände. Sie waren auf der Burg nicht zu verwerten, da sie augenblicklich erkannt und zurückgefordert worden wären. Wer aber konnte eine solche Summe Geldes hier unters Volk bringen, ohne Gerede zu erzeugen? Eigentlich nur Wirtho. Arigund
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