Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
waren. Er verbarg sich taktvoll im Schatten, griff aber rasch noch einmal begehrlich nach Annelies Fingern. »Ich warte auf dich.« Doch das Mädchen rannte schon über den Hof, ohne sich noch einmal umzudrehen.
*
Arigund zergelte ungeduldig an ihren Ärmeln, als Annelies eintrat. »Wo warst du denn?«, herrschte sie das Mädchen an, als es endlich durch die Tür zu ihrer Stube huschte. »Rasch, ich muss mich umziehen.«
»Verzeiht, Herrin«, hauchte die Zofe und begann an Arigunds Haar herumzuzupfen. Die schüttelte unmutig den Kopf.
»Nicht doch das Haar, Annelies. Ich brauch ein neues Kleid. Dieses ist hinüber. Bring mir das hellblaue, das mit dem bestickten Saum.«
»Entschuldigt, das Kleid, natürlich.« Die Magd begann ziellos in Arigunds Kleidertruhe herumzukramen.
»Diese Thundorfs sind wirklich unerträglich«, echauffierte sich Arigund. »Sie fressen wie die Schweine und saufen wie die Rossknechte, und dann kippt mir mein neuer Stiefbruder auch noch Rotwein über das teure Kleid. Schämen muss man sich, so etwas jetzt in der Familie zu haben. Das sagt übrigens auch mein Großvater.«
»Der muss es ja wissen«, entfuhr es Annelies, die in diesem Augenblick die Thundorfer nicht weniger hasste, hatte ihr doch das Missgeschick des Jungen das Schäferstündchen mit Matthias vermasselt.
»Such nicht in der Truhe!«, wies Arigund das Mädchen an. »Du hast es doch heute Morgen schon herausgelegt. Stell dir vor, diese Hildegard mit ihrem ›Herren Caprilli‹ hat sich heute, auf der Hochzeit meines Vaters, verlobt. Das macht die doch nur, um Aufmerksamkeit zu erringen. Sie ist ein Rabenaas, das sage ich dir.«
Annelies interessierte sich für Hildegards Verlobung im Augenblick herzlich wenig. Sie wollte zurück in den Stall. Oder sollte sie lieber nicht …? Doch, sie wollte! Sehr sogar. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander, während sie das vermaledeite Kleid suchte, und ihr Herz pochte bei der Erinnerung an Matthias’ Hände auf ihrem Körper wie verrückt. Sie glaubte noch immer seinen Geruch an ihrem Dirndl riechen zu können und sein wunderschönes Gesicht vor Augen zu sehen, während sie ziellos nach dem Gewand ihrer Herrin suchte.
»Auf dem Bett!«, half Arigund, und warf das Schappel auf den Boden. »Was ist denn nur los mit dir?«
Normalerweise hätte Arigund die Sache kaum auf sich beruhen lassen. Sie merkte es sofort, wenn mit Annelies etwas nicht stimmte. Heute jedoch war die Herrin viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. In Windeseile stand die Bürgerstochter im Unterkleid vor Annelies. Die Magd half ihr in das himmelblaue Gewand.
»Du solltest diese eingebildeten Ritter einmal hören, Annelies. Die tun so, als wären sie die Herren der Welt. Gut, sie sind schon hochgestellte Persönlichkeiten, aber arm wie die Kirchenmäuse. Und dieser Wirtho ist vielleicht widerlich. Vorhin hat er einem seiner eigenen Jagdhunde einfach den Kopf abgeschlagen, nur weil der Fleisch von den Tellern stahl. Das war vielleicht eine Schweinerei. Sogar sein Vater schien verärgert, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er eher den Verlust des Hundes beklagte als das Benehmen seines Sohnes. Er hat ihn des Saals verwiesen. Natürlich nicht so direkt, aber im Grunde dann doch. Schöne Minneherren sind das, sag ich dir. Au!«
»Verzeiht, Herrin, meine ungeschickten Hände.« Annelies zog die Fibel aus dem Kleid, mit der sie Arigund eben gestochen hatte, und setzte noch einmal an, den Faltenwurf über der Schulter gefällig zu arrangieren und festzustecken.
»Annelies, irgendetwas stimmt doch nicht mit dir? Du wirkst so zerstreut.«
Die Zofe hielt den Atem an. »Nein, doch, ach, es ist heute so … aufregend«, antwortete sie ausweichend.
Arigund musterte das Mädchen kurz, sagte jedoch nichts dazu. »Wusstest du eigentlich, dass diese Katharina bei uns einzieht?«, erkundigte sie sich dann.
»Ja Herrin«, Annelies nickte, erfreut über den Themenwechsel. »Emma musste die Kammer zum Hof hinaus herrichten.«
»Was, das ist ja gleich neben meiner!« Aufgebracht sprang Arigund vom Hocker, auf dem sie sich eben erst niedergelassen hatte.
»Himmel, ich hoffe, dieser Caprilli entführt sie morgen, schwängert sie und sorgt dafür, dass sie für immer in Italien bleibt. Sie ist derart unerträglich! Wie sie mich ansieht! Und dann diese zuckersüß herablassende Art – schwesterlich soll das wohl klingen: ›Arigund, da ist ein Fleck auf deinem Kleid! Ich empfehle dir, dich umzuziehen‹, ›Arigund, nimm
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