Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Rossknechte und Kutscher wurde Annelies mit großem »Hallo« empfangen.
»Was kommt denn da für ein niedliches Füllen!«, grölte ein dunkelhaariger Koloss am Ende des Tisches und stieß einen Pfiff aus.
»Hier herüber, meine Hübsche!«, lallte ein ergrauter Kutscher in zerknautschter Livree. »Schenk mir ein!«
Annelies zwängte sich an den hölzernen Schemeln vorbei, während sie vergeblich nach Matthias Ausschau hielt. Einige Male spürte sie eine Hand, die plump nach ihren Schenkeln tastete. Der Kutscher streckte ihr seinen Becher entgegen. Sie hob den Krug und beugte sich nach vorn, um das Gefäß zu füllen. In diesem Moment packten sie zwei raue Hände an den Hüften. Annelies kreischte auf, und um ein Haar wäre ihr der irdene Krug entglitten.
»Lass mich los, du ungehobelter Klotz!«, fauchte sie und versuchte sich zu befreien. Der Kerl dachte jedoch gar nicht daran, seinen Fang preiszugeben. »Was für ein schlankes Stütchen. Bist du denn schon zugeritten?«
Annelies knallte den Krug auf den Tisch und das Bier schwappte über den Rand.
»Haltet euch besser an das Bier, wenn ihr nicht Ärger mit meiner Herrschaft bekommen wollt.«
Mit diesen Worten kniff sie den Kerl in den Arm, dem das aber nichts auszumachen schien. Die Knechte pfiffen noch lauter. Der Dunkelhaarige schien wenig beeindruckt. »Oho, hört, hört, mit ihrer Herrschaft bekommen wir Ärger. Da haben wir aber Angst, nicht wahr?«
»Jetzt lass sie schon laufen, Trunkenbold«, brummte der alte Kutscher und schaute den Kerl streng an. »Du kannst heut Nacht eh keine Peitsche mehr schwingen.«
Annelies bekam einen Schubs und einen höchst unanständigen Klaps auf den Po. Erleichtert versuchte sie zu entkommen, aber die Reitknechte waren gerade erst in Fahrt geraten. »Genau!«, schallte es vom anderen Ende des Tisches. »Komm zu mir Mädchen! Ich zeig dir nachher die Kutsche meiner Herrschaft!«
Ein anderer erhaschte ihre Schürze und trällerte: »Ich bring dir ein Ständchen, du süßes Täubchen. Ich singe fast so gut wie unser Herr Wirtho.«
Die Männer lachten. Annelies setzte ihre Ellbogen ein und erwischte den Sänger am Auge. Sofort ließ er los. Doch schon verstellte ihr ein schmalbrüstiger, dürrer Kerl mit Zahnlücke den Weg. »Ich kann zwar nicht singen, hätte aber anderes zu bieten.«
Rüde zog er sie an sich, sodass sie seine Lenden spüren konnte. Empört trat ihm die Magd gegen das Schienbein. Der Dürre jaulte auf und taumelte zurück. Die anderen lachten und klatschten. Bierkrüge klirrten gegeneinander. Dann war der Knecht mit der Zahnlücke wieder auf den Beinen und kam drohend auf sie zu. Plötzlich war aus den derben Scherzen Ernst geworden. »Warte nur, du Luder!«
Annelies erschrak und hob schützend die Arme. Jemand packte sie am Handgelenk und zog sie zurück. Die Zofe schrie auf. Dann erkannte sie jedoch Matthias. Er stellte sich schützend zwischen das Mädchen und den Angreifer.
»Genug! Ist das die Art, wie man das Gastrecht ehrt?«, rief er in die Menge. »Ihr führt Euch auf wie Bauerntölpel.«
Im Raum entstand eine peinliche Stille, nur unterbrochen von einem lauten Rülpser des Livrierten. »Na dann, prost«, meinte er, und im nächsten Moment brach schallendes Gelächter los. Auch Matthias griff nach einem Humpen, hob ihn an und leerte ihn bis auf den letzten Tropfen. Erst nachdem die Gespräche wieder aufgeflammt waren, wandte er sich entschuldigend an Annelies: »Verzeih die derben Worte meiner Gesellen. Es ist das ungewohnte Starkbier, das ihre Zunge löst, und kein böser Wille.«
Sanft zog er das verblüffte Mädchen aus dem Raum. Sie wollte widersprechen, aber die Stimme versagte ihr. Matthias war da. Er war gekommen, um sie zu retten. Er hatte sich vor den ganzen Haufen betrunkener Rossknechte gestellt, um ihre Unschuld zu verteidigen. Annelies konnte vor Aufregung kaum einen klaren Gedanken fassen. Ihre Wangen glühten, und sie folgte dem Rotschopf willenlos. Dann waren sie draußen auf dem Hof. Der süßliche Geruch der Pferde drang zu ihnen herüber, und aus dem hohen Haus hörten sie fröhlichen Gesang und lautes Lachen. Matthias ließ ihre Hand los, doch nicht ohne einen Kuss auf die Fingerspitzen zu hauchen.
»Annelies, so sehe ich dich wieder«, flüsterte er.
»Du kennst meinen Namen?«, erwiderte sie erstaunt. »Und du erinnerst dich an mich?«
»Wie hätte ich dich vergessen können, deine Anmut und dein liebliches Gesicht!«
Bei diesen Worten streichelten seine Finger
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