Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
ungehindert durch den Stall in den Gasthof gelangt, was ihn in großes Erstaunen versetzte. Normalerweise ließ man die Pferde nie ohne Bewachung zurück, zumal in so einer Gegend. Entweder war Gott auf der Seite der Gerechten, oder DeCapella hatte ihrem Glück ein wenig nachgeholfen. In der engen Küche warf eine Schankmagd einen kurzen, erstaunten Blick auf den Ritter, trollte sich dann jedoch, ohne ihn anzusprechen. Mit gezücktem Schwert schlich Heinrich die Stufen hinauf. Von einem schmalen Flur führten drei Türen ab, doch nur hinter einer brannte Licht. Das musste es sein. Ein spitzer Schrei drang zu ihm durch die Tür. Heinrich warf sich gegen die Bretter, sodass die Angeln nachgaben. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Vaclav kniete über Arigund, von dem Messer in seiner Hand troff Blut. Wutentbrannt stürzte sich der Ritter auf den Räuber. Der sah seinen Gegner kommen und sprang zur Seite. Heinrichs Schwert fuhr krachend in die Holzdielen und blieb darin stecken. Mit erstaunlicher Gewandtheit sprang Vaclav auf die Füße und bedrohte nun seinerseits den Ritter. Zwei blitzschnelle Messerstöße glitten an Heinrichs Kettenhemd ab. Der Ritter schätzte seine Chancen ab. Er war ein geübter Kämpfer und bestimmt mindestens ebenso kräftig wie Vaclav. Im Turnier hätte er gewiss gute Karten gehabt. Hier aber galten keine Regeln, und kein Herold schritt ein, wenn ein Gegner zu unritterlichen Mitteln griff. Heute Nacht würde nur einer von ihnen den Ring lebend verlassen. Wild entschlossen ging der Ritter mit gesenktem Kopf auf den verhassten Gegner los und brachte ihn zu Fall. Doch Vaclav hatte schon so manchen Kampf überstanden. Geschickt rollte er sich ab und kam auf die Knie. Heinrich rammte dem Mann die Faust in den Rücken, kassierte dafür aber einen Stich ins Bein. Er spürte die Verletzung gar nicht, sondern trat Vaclav gegen die Hand mit dem Messer. Er traf das Handgelenk und hörte einen Knochen zerbersten. Vaclav jaulte auf und versuchte sich zur Tür zu retten. Wütend trat er nach Heinrichs Kniekehle und erwischte sie mit den Zehen. Der Ritter knickte weg, was Vaclav sofort zur Flucht nutzte. Wie ein Hase sprang er die Stufen hinunter. Heinrich setzte ihm nach. Der Räuber hastete zur Hintertür, erreichte den Stall und prallte gegen Friedl.
»Aus dem Weg, Mann!«, kreischte Vaclav. Doch Friedl blieb, wo er war. Ein Messer blitzte auf. Vaclav spürte kaum mehr als einen Ruck, als es ihm ins Herz fuhr. Verwundert sah er zu seinem Kumpan hoch. Statt Worte quoll Blut aus seinem Mund.
»Du sagst mir nie wieder, was ich tun soll«, zischte Friedl und stotterte dabei erstaunlicherweise kein bisschen. Energisch zog er das Messer aus Vaclavs Brust, bereit, ein zweites Mal zuzustechen, doch der war bereits zusammengebrochen. Hellrotes Blut strömte aus seinem Körper und bildete innerhalb kürzester Zeit eine große, zähe Lache. Der Taschendieb spuckte seinem Peiniger ins Gesicht, dann sah er zu Heinrich hoch, der keuchend in der Tür stand. Eine Weile sagte keiner etwas.
»Ich hab’s ge … getan«, flüsterte Friedl endlich, als könnte er das selbst kaum glauben.
»Ja, und jetzt solltest du abhauen, bevor die Büttel kommen«, antwortete Heinrich.
»Und was …, was ist mit Arigund?«
»Ich weiß nicht. Ich befürchte, er hat ihr die Kehle durchgeschnitten.«
Friedl nickte, bückte sich, nahm Vaclav die Geldstücke ab, die der in der Tasche seines Mantels verborgen hatte, drehte sich um und wollte davonrennen.
»Warte noch einen kurzen Augenblick!«, hielt ihn der Ritter auf. Misstrauisch blieb Friedl stehen. Heinrich trat näher heran und flüsterte dem Taschendieb hastig etwas ins Ohr.
Erstaunt sah der junge Mann auf, nickte und machte sich hastig davon. Der Ritter sah ihm nach. Er hatte das Gefühl, Friedl nicht zum letzten Mal gesehen zu haben. Heinrich wartete, bis der Nebel Friedls Gestalt verschluckt hatte. Dann stapfte er mit schweren Schritten erneut die Treppe hoch. Der Wirt schien den Krach, den sie veranstaltet hatten, einfach zu ignorieren. Kein Mensch kam, um nachzusehen. Mehr und mehr hatte Heinrich das Gefühl, der Kaufmann habe nichts dem Zufall überlassen wollen. Langsam öffnete der Ritter die Tür zur Dachkammer und näherte sich Arigund. Reglos lag sie auf der Seite. Das Stroh war mit Blut durchtränkt. Zögernd näherte sich der Ritter. Er kniete sich neben sie und griff nach ihrer Hand. Ihre Arme trugen Schnittwunden, die noch immer heftig bluteten.
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