Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
nehmen.«
Der Ritter betrachtete sie mit merkwürdiger Intensität, dann wandte er den Blick ab und sagte: »Das könnt Ihr wohl, Arigund, oder besser gesagt, Ihr hättet es gekonnt.«
Arigund trafen die Worte wie ein Pfeil. Er schien ihr heute unnahbar, fast als hätte sie seinen Zorn auf sich geladen.
»Sprecht doch zu mir, hoher Herr.«
»Das ›hoher Herr‹ mir gegenüber ist ja wohl kaum angemessen für die Gattin eines Truchsess.«
Arigund erschrak und schluckte schwer. Die Stunde der Wahrheit schien gekommen.
»Herr Heinrich«, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, »ich … Es tut mir leid.«
Der Ritter fuhr herum. Das Blau seiner Augen wirkte plötzlich kalt und unnahbar. »Es tut Euch leid, Arigund von Brennberg? Was tut Euch leid, dass Ihr mich zum Narren gehalten habt? Dass Ihr Euren Gatten verleumdet habt? Und was sonst noch?«
Der Boden schien mit einem Mal zu schwanken. Arigund stützte sich schwer auf den Brückenpfeiler. Ihre Beine schienen nachgeben zu wollen.
»Ihr wisst …«, hauchte sie.
»Von Euch und Reimar? Ja, das tue ich, nur leider habe ich’s nicht von Euch erfahren.«
»Waren es die Lieder?«
In Arigunds Stimme schwang Hoffnung mit. Der Ritter durchbohrte sie weiterhin mit seinen Blicken. Arigund senkte die Augen und flüsterte: »Ich habe stets befürchtet, sie würden mich eines Tages verraten. Ihr seid ein vorzüglicher Kenner höfischen Gesangs. Ja, Ihr habt Recht. Sie stammen aus Reimars Feder.«
»Zu viel der Ehre«, höhnte der Ritter. »Euer Oheim war’s, der mir Eure Geschichte erzählte.«
»So wisst Ihr alles?«, hauchte Arigund. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
Wütend schlug der Ritter mit der Hand gegen den Brückenpfeiler. Seine Finger prallten nur knapp neben Arigunds Wange auf den Stein. Sie zuckte zusammen. Drohend stand er nun vor ihr. Sein Mund dicht an ihrem Ohr. Seine Worte rochen nach süßem Wein und verderblichem Zorn. »Wollt Ihr nicht endlich aufhören, Euch zu winden? Reimar, müsst Ihr wissen, ist mein Freund und Waffenbruder. Wie konntet Ihr ihn nur so hintergehen.«
Für einen winzigen Moment setzte Arigunds Herzschlag aus. Der Schmerz, der sie bei der Nennung des Namens durchfuhr, war wie ein Schwerthieb. Wütend fuhr sie herum.
»Ich ihn hintergehen?« Es wunderte Arigund fast selbst, wie fest ihre Stimme klang. »War es nicht eher umgekehrt?«
»Lügnerisches Weib! Ich kenne Reimar. Er ist ein ehrenhafter Ritter, der sich niemals etwas zu Schulden kommen lassen würde. Zudem seine Lieder, sagten sie nicht mehr als tausend Worte? Zeugen Sie nicht von den Gefühlen, die er für Euch hegt? Reimars Liebe war rein, Arigund.«
Jedes seiner Worte traf sie wie ein Peitschenhieb. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Was war denn mit ihr? Warum fragte denn niemand danach, wie es ihr ergangen war? Zorn und Ohnmacht rangen miteinander, als sie Heinrich entgegenschleuderte: »Wenn er so war, warum hat Euer Freund Reimar mich dann dieser Bestie von Wirtho überlassen? Statt hübsche Strophen zu entwerfen und Liebesschwüre zu leisten, hätte er besser zwei Pferde gesattelt und mich mit sich genommen. Überallhin wäre ich ihm gefolgt. Aber er? Er war weg, als ich seine Hilfe so dringend benötigte. Im Stich gelassen hat er mich. Nennt man das ritterlich?«
Arigund schluchzte und flüsterte: »Was blieb mir denn anderes übrig, als mit seinem Bruder das Bett zu teilen?«
»Mit seinem Bruder? Ihr habt Euren Gatten mit dessen eigenem Bruder betrogen?«
Angewidert wandte sich Heinrich von ihr ab.
Plötzlich verstand Arigund: Heinrich war der Meinung, Reimar wäre ihr Ehemann. Irrsinnigerweise musste sie plötzlich lachen. Es klang viel zu schrill und fast hexenhaft.
»Wenn’s nur so gewesen wäre, wie Ihr glaubt«, keuchte sie dazwischen. »Was hätte ich dafür gegeben!«
Dann brachen die Tränen ungehindert aus ihr heraus. Arigund schlug die Hände vors Gesicht und sackte in den Schnee. Heinrich tat nichts, sie zu trösten, sondern stand nur kopfschüttelnd vor ihr.
»Ich glaube, ich verstehe gar nichts mehr«, meinte er schließlich.
Arigund versuchte, sich zu beruhigen, doch sie zitterte, als habe sie immer noch Fieber, und genau so fühlte sie sich auch.
»Das will ich gern glauben. So hört meine Geschichte.«
Arigund trocknete die letzten Tränen mit dem Ärmel und begann. »Als Mädchen schickte mich mein Vater nach Brennberg zur Erziehung, und das Schicksal wollte es so, dass Reimar und ich uns in Liebe fanden.
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