Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
das noch immer in einer Ritze zwischen den Dielenbrettern klemmte. Der Bischof hob seine Hand und rief: »Haltet ein, Truchsess, im Namen des Herrn.«
Verwundert sah sich Wirtho um.
»Ich möchte hören, was das Weib zu sagen hat«, forderte Bruno.
»Reimar von Brennberg verließ die Burg lange vor unserer Eheschließung und kam erst zur Beisetzung seines Vaters zurück. Ich hatte gemeinsam mit Kunigund, der Gattin des alten Truchsess, an dessen Sterbebett ausgeharrt. Ich bin schreibkundig, und weil er dem Kaplan nicht traute, diktierte unser Herr mir sein Testament, in dem er Reimar zu seinem Nachfolger ernannte.«
»Wo ist dieses Schriftstück jetzt?«, unterbrach sie der Bischof.
Arigund zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Frau Kunigund nahm es an sich.«
»Fahre fort, mein Kind«, forderte der Bischof sie auf.
»Reimar war noch nicht einmal richtig angekommen, da kam es zum Kampf zwischen den Brüdern. Wirtho schlug Reimar vor meinen Augen nieder. Damit ich niemandem davon berichten konnte, ersann er einen heimtückischen Plan. Er verbreitete, ich hätte mit Reimar Unzucht getrieben. In Wirklichkeit wollte er mich aus dem Weg haben, wagte es aber nicht, selbst Hand an mich zu legen, da er meinem Vater sehr viel Geld schuldet. Wirtho beschloss, sich nach außen hin großzügig zu zeigen und mir den Weg ins Kloster zu eröffnen, doch ich sollte dort nie ankommen. Vielmehr heuerte er Gesetzlose an, die uns überfallen und ermorden sollten. Damit der Überfall nicht allzu schwierig sein würde, bestand mein Geleitschutz lediglich aus einem einzigen alten Ritter und seinem Knappen. Wirthos Plan ging jedoch nicht auf. Der Ritter war tapfer und starb ehrenvoll. Die Räuber ließen mich am Leben, um von meinem Vater ein Lösegeld zu erpressen, fürchteten aber zu Recht, dass der Truchsess ihnen nachstellen würde. Sie steckten mich in Männerkleidung, und so kam ich nach Prag. Herr Heinrich lernte mich bereits als ›Tassilo‹ kennen.«
Die letzten Sätze richtete Arigund mehr an Heinrich als an Kunigunde. Ihre Augen flehten ihn an, die kleine Lüge bestehen zu lassen, damit nicht auch er ins Verderben gerissen würde.
Kunigundes Augen füllten sich mit Tränen. »So ist es also wahr. Ihr habt uns die ganze Zeit etwas vorgegaukelt. Ich habe Euch vertraut, Tassilo.«
Sie drehte sich zu den beiden Leibgardisten um, die stets an ihrer Seite waren, und sagte: »Ergreift diese Frau, und werft sie in den Turm, und diesen Mann da …« – sie deutete auf Wirtho – »… den steckt gleich mit dazu, damit sie ihr Ehegezänk austragen können, ohne uns zu belästigen. Lasst sie erst gehen, wenn sie zur Vernunft gekommen sind.«
»Einen Brennberger legt man nicht in Ketten«, grollte Wirtho und packte den Griff seines Schwertes. Mit einem Ruck hielt er es in der Hand und schwang es drohend. Die Ader an seiner Stirn pulsierte. Tiefe Furchen durchzogen sein aufgedunsenes Gesicht, und in den eingefallenen Höhlen blitzten die Augen teuflisch zu Kunigunde, die offensichtlich gar nicht merkte, in welcher Gefahr sie schwebte. Heinrich zögerte keine Sekunde. Den Dolch in der Hand sprang er vor die Königstochter und schirmte sie mit seinem Körper ab.
»Niemand wird diesem Kind etwas zuleide tun, solange auch nur ein Atemzug aus meiner Brust strömt.«
Auch die Wachen zückten die Lanze. Sie drängten in den Raum. Wirtho wich zurück und packte Arigund bei den Haaren. Die schrie vor Schmerz auf. Achtlos zog der Truchsess sie auf die Füße und hielt sie vor sich wie einen lebenden Schutzschild. Die Wachen drängten sich an Heinrich vorbei und versuchten des Brennbergers habhaft zu werden, ohne Arigund zu verletzen. Die keuchte stöhnend: »Tötet mich und dann ihn! Kein Unrecht soll er mehr anrichten auf dieser Welt.«
Die Wachen ließen sich das nicht zweimal sagen. Ihre blanken Klingen funkelten im Schein der Feuer, die man gerade draußen zu Ehren des Kronprinzen entfachte. Jubelschreie drangen von dort herein. Arigund schloss die Augen. Zum ersten Mal seit Langem schlug ihr Herz gleichmäßig, und ihr Atem ging ruhig.
»Oh nein!«, rief Kunigunde und schluchzte: »Tut ihr nichts. So darf es nicht enden.«
Unschlüssig hielten die Wachen inne und sahen zum Bischof. Der nickte langsam. Heinrich atmete aus und verbeugte sich vor der Königstochter.
»Wie weise Ihr sprecht, hohe Herrin. Wahrlich, Ihr seid die Tochter Eures Vaters.«
»Was schlagt Ihr vor, Heinrich?«, flüsterte das Mädchen, immer noch
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