Die Washington-Akte
meisten Geschäfte noch geöffnet. Eine Bäckerei fiel ihm ins Auge, und er nahm sich vor, vor seinem Aufbruch dort und in einem Obstladen nebenan hereinzuschauen. Essen wäre gut. Er hatte keine Ahnung, wie lange er auf der Insel bleiben würde.
Die Häuser standen mit der Rückseite zur Bucht, vor Felsbrocken, die das Ufer vor den rastlosen Gezeiten beschützten. Man konnte Kajaks, Motorboote und Segelboote mieten, und er sagte sich, dass ein schnelles, solides Rennboot am besten geeignet wäre. Paw Island lag übers Wasser etwa sechs Meilen entfernt.
Das Wissen der Einheimischen könnte ebenfalls hilfreich sein.
Und so beschloss er, einige Erkundigungen über das Fort einzuziehen, bevor er zur Insel aufbrach.
Cassiopeia stopfte ihre schmutzige Kleidung in die Schultertasche. Sie hatte für das Wochenende in New York leicht gepackt und nur wenig mitgenommen. Davis hatte ihr das sogenannte Blaue Schlafzimmer im ersten Stock des Weißen Hauses angeboten. Es hatte ein eigenes Badezimmer, und so hatte sie duschen können. Während sie sich frisch machte und sich ausruhte – der Schlafmangel hatte sie schließlich eingeholt –, hatte das Personal ihre Kleidung gewaschen. Sie hatte es nicht eilig, wieder nach Fredericksburg zu fahren. Shirley Kaiser würde erst in vier Stunden nach Hause zurückkehren. Sie hatten Kaiser angewiesen, nichts Außergewöhnliches zu tun. Sie sollte so lange wie üblich bleiben. Ganz sie selbst sein.
Ein leichtes Klopfen rief Cassiopeia zur anderen Seite des Zimmers.
Als sie die Tür öffnete, stand Danny Daniels vor ihr.
Sofort läuteten bei ihr alle Alarmglocken.
»Ich muss mit Ihnen sprechen«, sagte er leise.
Er kam herein und setzte sich auf eines der Doppelbetten. »Ich habe diesen Raum immer gemocht. Hier hat Mary Lincoln nach der Ermordung Abrahams in einem Schockzustand gelegen. Sie hat sich geweigert, das gemeinsame Schlafzimmer am anderen Ende des Flurs zu betreten. Reagan hat das Zimmer als Fitnessraum genutzt. Andere Präsidenten hatten hier ein Kinderzimmer eingerichtet.«
Sie wartete darauf, dass er sagte, was er eigentlich wollte.
»Meine Frau hat mich verraten, nicht wahr?«
Sie war erstaunt über diese Frage. »Auf welche Weise?«
»Edwin hat mir erzählt, was mit Shirley geschehen ist. Er ist überzeugt, dass Pauline keine böse Absicht hatte.« Der Präsident hielt inne. »Aber ich bin mir da nicht so sicher.«
Cassiopeia hatte keine Ahnung, wie sie auf diese Bemerkung reagieren sollte.
»Edwin hat Ihnen von Mary berichtet?«
Sie nickte.
»Ich habe ihn darum gebeten. Ich rede nicht über sie. Das kann ich nicht. Das verstehen Sie doch, oder?«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich es sonst niemandem erzählen kann.«
»Sie sollten mit Ihrer Frau darüber reden.«
Daniels’ Blick wirkte distanziert. »Ich fürchte, zwischen uns gibt es nicht mehr viel zu sagen. Unsere Zeit ist abgelaufen.«
»Lieben Sie sie?«
»Nicht mehr.«
Dieses Eingeständnis schockierte sie.
»Schon lange nicht mehr. Ich will ihr nichts Böses, empfinde weder Hass noch Zorn. Nur Gleichgültigkeit.«
Sein abgeklärter Tonfall ging ihr auf die Nerven. Sie war an die dröhnende Stimme gewöhnt.
»Weiß sie Bescheid?«
»Wie könnte es anders sein?«
»Warum erzählen Sie mir das?«, wiederholte sie ihre Frage.
»Weil die einzige andere Person, mit der ich darüber reden könnte, in Schwierigkeiten steckt und Ihre Hilfe braucht.«
»Stephanie?«
Daniels nickte. »Nach allem, was Cotton über den Tod seines Vaters in Erfahrung gebracht hatte, haben wir beide letzte Weihnachten miteinander zu reden begonnen. Sie ist eine wirklich außergewöhnliche Frau, die ein hartes Leben hatte.«
Cassiopeia hatte Stephanies verstorbenen Mann gekannt und war mehrere Jahre zuvor im Languedoc vor Ort gewesen, als die tragischen Ereignisse ihren Lauf genommen hatten.
»Sie hat mir von ihrem Mann und ihrem Sohn berichtet. Ich glaube, sie wollte, dass ich ihr von Mary erzähle, aber das konnte ich nicht.«
Das Gesicht des Präsidenten war von Schmerz umwölkt.
»Stephanie hat sich meinetwegen in Gefahr begeben, und jetzt ist sie verschwunden. Wir müssen sie finden. Vom Bauchgefühl her würde ich am liebsten hundert FBI -Agenten in das Piratennest in Bath schicken. Sie könnte dort sein. Aber ich weiß, dass das unklug wäre. Was Sie geplant haben, ist besser.«
»Haben Sie und Stephanie … etwas miteinander?«
Sie hoffte, dass diese Frage ihn nicht kränkte, aber sie musste sie
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