Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Küche. Sie glaubte, er schliefe, bis er den Kopf hob, als er Schritte auf den Fliesen hörte. Sie berührt ihn am Arm und sagte auf Kantonesisch: »Ich brauche das Passwort für Ihren E-Mail-Account.«
»Ratte.«
Der Mann ist derart einfallslos , dachte sie, öffnete den Barrett’s-Bank-Ordner und warf einen Blick auf die jüngere Korrespondenz. Darin tauchten mehrere Namen und E-Mail-Adressen auf.
»Wer war Ihr Haupt-Ansprechpartner bei Barrett’s Bank?«
»Jeremy Bates.«
»Ist er der Filialleiter?«
»Ja. Sie haben nicht viele Mitarbeiter. Jeremy kümmert sich um die meisten Kunden.«
Sie stieg die Treppe zum Arbeitszimmer hoch. Einer der Cops saß vor dem großen Schlafzimmer auf dem Boden. »Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich.
»Die Frau hat angefangen zu schreien. Ich musste sie zum Schweigen bringen.«
Ava fragte nicht wie.
Der Computer war immer noch online. Sie öffnete Setos E-Mail-Account und sein Adressbuch. Darin fand sie einen Jeremy Bates. Seine E-Mail-Adresse war mit derjenigen im Ordner identisch. Sie fand mehr als zwanzig E-Mails an diese Adresse und staunte über Setos Schreibstil, der formeller war, als sie ihm zugetraut hätte. Und freimütiger – Seto schien keine Scheu zu haben, seine finanziellen Angelegenheiten offen darzulegen.
Sie entwarf eine E-Mail an Jeremy Bates.
Sehr geehrter Mr. Bates,
ich werde am 26. oder 27. Februar zu Ihnen in die Road Town kommen, um eine Überweisung in Höhe von $ 7 000 000 nach Hongkong zu tätigen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die erforderlichen Formulare vorbereiten könnten.
Eine Ms. Ava Lee wird mich zur Bank begleiten. Sie ist die Buchhalterin der Hongkonger Firma, mit der wir zurzeit geschäftlich zu tun haben. Ms. Lee soll die Überweisung obiger Summe bestätigen. Sie haben meine Erlaubnis, ihr sämtliche Informationen in Bezug auf das S&A-Konto offenzulegen.
Sobald unsere Reisevorkehrungen getroffen sind, melde ich mich bei Ihnen, um einen Termin in Ihrem Büro auszumachen.
Mit freundlichen Grüßen
Jackson Seto
Sie klickte auf ENTWURF SPEICHERN .
In Hongkong war es Mittag, also konnte sie Onkel anrufen. »Ich bin immer noch in Guyana und bemühe mich, den Auftrag abzuschließen«, sagte sie schnell. »Es wird noch zwei, drei, vielleicht sogar vier Tage dauern. Das Ende ist in Sicht, aber es dauert länger als erwartet.«
»Irgendwelche speziellen Gründe für die Verzögerung?«
»Ich muss auf die British Virgin Islands fliegen.«
Sie konnte fast spüren, wie er den Telefonhörer fester umklammerte. »Das war nicht Teil des Plans«, sagte er.
»Der Plan hat sich geändert. Das Ergebnis wird dasselbe sein.«
»Fliegst du allein?«
»Nein«, sagte sie. »Seto kommt mit, außerdem möchte ich, dass Derek mir hilft.«
»So kompliziert ist es?«
»Ich brauche einfach ein zusätzliches Paar fähiger Hände.« Jetzt, da Onkel wusste, dass sie Derek Liang in die Sache hineinziehen wollte, machte er sich bestimmt noch mehr Sorgen. Sie hatte bisher fünfmal mit ihm zusammengearbeitet, und jedes Mal war es kritisch oder schlimmer gewesen.
»Wenn du es für nötig hältst«, sagte er schließlich ruhig.
Zu Beginn ihrer Partnerschaft hatte Ava einem Treffen zwischen Onkel und einem Geschäftsmann aus Macao beigewohnt, der vorhatte, ihnen einen Auftrag zu geben. Obwohl er ihre Unterstützung dringend nötig hatte, ließ er sich nicht in die Karten schauen und gab ihnen nur ein Minimum an Informationen. Gereizt von der Reserviertheit des Mannes, hatte Onkel immer weiter nachgebohrt. Schließlich schlug der Mann die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: »Glauben Sie mir, mehr Informationen sind überflüssig. Das ist alles, was Sie wissen müssen – vertrauen Sie mir.« Onkel hatte den Auftrag abgelehnt. Während sie im Tragflügelboot nach Hongkong zurückschipperten, sagte er zu Ava: »Immer, wenn jemand ›Glauben Sie mir‹ oder ›Sie können mir vertrauen‹ zu dir sagt, ohne dir einen Grund nennen zu können, dreh dich auf dem Absatz um und geh. Für mich ist es das Gefährlichste, was man sagen kann; es ist die Ausrede der Schwachen.«
In all den Jahren waren ihr diese Worte nie über die Lippen gekommen. An dem Tag, an dem sie ihn bat, ihr zu vertrauen, wäre ihre Zusammenarbeit beendet, wobei sie gern glauben wollte, dass das auch umgekehrt galt. Selbst wenn Onkel Vorbehalte hatte, sprach er sie nie aus. Er vertraute ihr bedingungslos: Sogar wenn die Dinge fürchterlich schiefgingen – was
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