Die weise Frau
Rundung des Turms, und Alys vermutete, daß sie die Burg durch eines der Seitentore betreten würden. Jeden Augenblick würde jetzt der Alarm ertönen, Leute würden hin und her rennen, und jeder würde sich um Catherine sorgen und Morach preisen.
Alys bewegte sich steifbeinig vom Fenster weg, zog sich einen Hocker zu Lord Hughs Füßen und schaute in die Flammen des Kamins. Sie erschauderte bei der Erinnerung an das eisige Grün des Grabens. Dann beugte sie sich vor, stützte ihr Kinn auf die Hände und starrte mit leeren, blinden Augen direkt in die rote Glut — und wartete auf den Lärm und das Geschrei.
Beim ersten Schrei aus der großen Halle, der bis in sein Zimmer gellte, schreckte Lord Hugo aus dem Schlaf hoch.
»Was ist das?« fragte er. »Alys! Werden wir angegriffen? Was ist das für ein Lärm?«
»Ich werde nachsehen, Mylord«, sagte Alys rasch.
Sie ging zur Tür, als David hereinkam.
»Kein Grund zur Aufregung, Mylord«, sagte er hastig. »Lady Catherine ist in den Fluß gestürzt, aber Lord Hugo hat sie sicher nach Hause gebracht. Sie wird von ihren Hofdamen zu Bett gebracht. Ihre weise Frau meint, daß dem Kind nichts passiert wäre.«
»Gepriesen sei der Herr«, sagte der alte Lord und bekreuzigte sich. »Sag ihr, ich werde sofort kommen. Alys! Hast du das gehört! Catherine fast ertrunken und der Erbe mit ihr! Großer Gott! Das war knapp!«
»Ich sollte wohl besser zu ihr gehen«, sagte Alys.
»Ja, ja. Geh und schau, wie es ihr geht, und komm gleich wieder zurück. Ich werde sie selbst besuchen, wenn sie es gestattet. Und sag Hugo, er soll zu mir kommen, sobald seine Frau versorgt ist.«
Alys glitt aus dem Zimmer und lief die Treppe zur Damengalerie hinunter. Alles war in heller Aufregung. Diener liefen mit Holzkörben herum, mit Schaffein voll heißem Wasser, Krügen mit Glühwein und heißem Met. Catherines Hofdamen kreischten Befehle, widerriefen sie sofort, packten Catherines Hände, um sie zu wärmen und zu küssen. Hugo, der Catherine stützte, brüllte ihnen zu, eine Wärmflasche in Catherines Bett zu stecken und das Zimmer zu räumen, damit man sie ausziehen konnte. Morach ignorierte das Durcheinander und hinterließ eine triefende Spur bis zu Alys' Kammer. Sie stutzte, als sie Alys in der Tür sah, und ihre Blicke begegneten sich.
»Du schwimmst wie eine Hexe«, sagte Alys ohne Rücksicht darauf, daß jeder sie hören konnte.
»Und du zauberst wie eine«, erwiderte Morach mit giftiger Stimme.
»Warum hast du dich eingemischt?« fragte Alys leise, so daß ihre Stimme im allgemeinen Geschrei unterging. »Du weißt, was ich getan habe. Warum mischst du dich in meine Arbeit ein?«
Morach zuckte die Achseln. »Das ist ein Tod, den ich keinem wünschen würde«, sagte sie. Sie erschauderte. »Mein Schlimmstes wäre es, durch Wasser zu sterben«, sagte sie. »Ich könnte nicht tatenlos zusehen, wie eine Frau ertrinkt. Schon gar nicht eine junge Frau, eine junge Frau mit Kind, der ich gedient habe. Du bist eine härtere Frau als ich, Alys, wenn du hättest zusehen können, wie sie ertrinkt.«
»Ich habe sie mit all meiner Macht unter Wasser gehalten«, sagte Alys mit zusammengebissenen Zähnen.
»Und ich habe sie herausgezogen«, fauchte Morach. »Es gibt einen Tod, den keine Frau erleiden sollte. Jeder Tod auf der Welt wäre mir lieber, als unter Wasser zur Hölle zu gehen.«
Alys sah sich um. Eliza Herring war in Hörweite, aber sie erteilte schreiend einem Diener Befehle. »Gott sei Dank warst du da«, sagte Alys betont laut.
Morach grinste unter ihren triefenden grauen Haaren. »Danke für deine guten Wünsche.« Sie drängte sich vorbei an Alys in die kleine Kammer und schlug die Tür zu.
Alys drehte sich um und klatschte in die Hände. »Ihr Männer!« sagte sie, und ihre Stimme übertönte klar den Lärm. »Hinaus! Ihr alle! Wir können Lady Catherine nicht zu Bett bringen, solange ihr alle hier seid. Eliza! Schlag ihr Bett auf! Du, Mädchen«, — zu einer vorbeigehenden Magd — »pack die Wärmflaschen in ihr Bett! Und du«, — zu einer anderen — »sorg dafür, daß ein gutes Feuer in ihrem Gemach und in diesem hier brennt.«
Der Raum leerte sich schlagartig. »Aus dem Weg!« sagte Alys bissig zu den Mägden und Catherines Hofdamen, die sich immer noch im Zimmer drängten. Sie nahm Catherines anderen Arm, und sie und Hugo führten die zitternde Frau in ihr Gemach und setzten sie in einen Stuhl neben dem Kamin.
»Holt Handtücher und Laken«, befahl Alys Hugo, ohne
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