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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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schwarzes Roggenbrot mit schlecht gemahlenen Körnern, die im Teig steckten. Manchmal bekamen sie die Innereien eines frischgeschlachteten Schweines von einer dankbaren Farmersfrau. Manchmal hatten sie einen Hasen. Morach hatte eine Fallenschlinge, und Alys spannte ein Netz für Fische. Wenn Morachs Hühnerpaar, das im Haus lebte und sich armselig von Brotkrumen ernährte, ein paar Tage lang gut legte, aßen Morach und Alys nur Eier. Meistens gab es zum Frühstück wäßrige Hafergrütze, dann erst mit Einbruch der Nacht Brühe und Brot und ab und zu eine Scheibe Käse oder Fleisch.
    Alys konnte sich gut an den Geschmack der Karpfen aus den Weihern der Abtei erinnern. An die Fastentage, an denen sie Lachs oder Forelle oder Seefisch aßen, der extra von der Küste gebracht wurde. Der Geruch gebratenen Rinderfleisches mit dickem, flockigen Kartoffelbrei, der warme, nahrhafte Haferbrei nach dem Morgengebet, mit einem Löffel Honig und Sahne, gelb wie Butter, übergossen, heißes Bier vor dem Schlafengehen, die Festtagsleckereien wie Marzipan, geröstete Mandeln, gezuckerte Früchte. Sie gierte nach der schweren, warmen Süße des Hippocras-Weines nach einem Fest, Wild in Portweinsauce, eingemachtem Karnickel, Gemüse in Butter gedünstet, der sauren Süße frischer Kirschen. Manchmal weckte Morach sie nachts mit einem Fußtritt und sagte verschlafen kichernd: »Du stöhnst, Alys, du träumst schon wieder vom Essen. Lerne deinen Körper zu kasteien, mein kleiner Engel!« Und Alys merkte, wie ihr dann das Wasser im Mund zusammenlief von den Träumen über die Mahlzeiten in der Stille des Refektoriums, während denen eine Nonne vorlas; und am Kopf des Tisches war immer Mutter Hildebrande, segnete mit ausgestreckten Armen die Mahlzeit und dankte dem Herrn für das reiche, sorglose Leben, das er ihnen beschert hatte; und manchmal schaute sie den Tisch hinab zu Alys, um sicherzugehen, daß das kleine Mädchen reichlich zu essen hatte. »Reichlich«, sagte Alys sehnsüchtig.
    Ende Oktober brach in Bowes eine Epidemie aus. Ein halbes Dutzend Kinder und einige Erwachsene wurden von ständigem Brechreiz geplagt und erstickten fast an ihrem eigenen Erbrochenen. Mütter gingen täglich den weiten Weg zu Morachs Hütte mit einem Geschenk, einem runden gelben Käse, manchmal sogar mit einem Penny. Morach verbrannte Fenchelwurzeln über dem kleinen Feuer, ließ sie trocknen, zerstampfte sie zu Pulver und gab Alys ein Stück Papier, eine Feder und Tinte.
    »Schreib ein Gebet«, sagte sie. »Irgendeins der guten Gebete in Latein.«
    Alys Hand beglückte das Gefühl, wieder eine Feder zu halten; sie hielt sie ungeschickt in ihren geschwollenen, schwieligen Händen, wie den Schlüssel zu einem Königreich, das sie verloren hatte.
    »Schreib! Schreib!« drängte Morach ungeduldig. »Ein gutes Gebet gegen Krankheit.«
    Alys tauchte behutsam die Feder ein und schrieb die schlichten Worte des Vaterunsers, und ihre Lippen bewegten sich im Rhythmus der lateinischen Kadenzen. Es war das erste Gebet, das Mutter Hildebrande ihr beigebracht hatte.
    Morach schaute ihr neugierig über die Schulter. »Ist es fertig?« fragte sie, und nachdem Alys nur stumm nickte, nahm Morach das Papier, zerriß es in ein halbes Dutzend kleiner Vierecke, gab den staubigen Puder darauf und drehte die Papierschnipsel zu, damit das Pulver nicht verlorenging.
    »Was machst du da?« fragte Alys.
    »Zauberei«, erwiderte Morach ironisch. »Das wird uns den Winter über fett halten.«
    Sie behielt recht. Die Leute aus Bowes und die Farmer der Umgebung kauften das schwarze, in Spezialpapier gewickelte Pulver für einen Penny pro Päckchen. Morach kaufte mehr Papier und ließ Alys weiterschreiben. Alys wußte, daß es keine Sünde war, das Vaterunser zu schreiben, aber ihr war nicht wohl in ihrer Haut, wenn Morach das glatte Pergament in Stücke riß.
    »Warum machst du das?« fragte Alys eines Tages neugierig, während sie Morach, die auf einem Hocker neben dem Feuer saß, zusah, wie sie die Wurzel in einem Mörser auf ihrem Schoß zerstampfte.
    Morach lächelte sie an. »Das Pulver ist gut gegen Krankheiten im Bauch«, sagte sie. »Aber der Zauberspruch, den du schreibst, verleiht ihm die Kraft.«
    »Es ist ein Gebet«, sagte Alys verächtlich. »Ich kenne keine Zaubersprüche, und ich würde nie verbrannten Fenchel und eine Zeile Gebet für einen Penny pro Päckchen verkaufen.«
    »Es macht die Leute gesund«, sagte Morach. »Sie nehmen es und sagen den Zauberspruch, wenn

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