Die weise Frau
bringen wird. Er ist meine einzige Chance.«
Morach murmelte etwas vor sich hin und drehte sich zur Leiter zu ihrer Schlafplattform. »Stell das Wasser auf«, befahl sie. »Ich muß Kamille stampfen. Ich brauche sie, um meinen Kopf zu klären.«
Alys beugte den Kopf und blies in das Feuer, dann stellte sie den kleinen dreibeinigen Wassertopf in die rote Glut. Als das Wasser anfing zu sprudeln, warf Alys ein paar Kamillenblüten hinein. Nachdem der Tee gezogen hatte, teilten sich die beiden ein angeschlagenes Trinkhorn.
Morach hatte inzwischen ihre magischen Knochen herbeigeholt. Sie nahm einen kräftigen Schluck und schüttelte dann den Beutel mit den Knochen.
»Wähle«, sagte sie und hielt Alys den Beutel hin.
Alys zögerte.
»Ist das Hexerei?« fragte Alys. Sie hatte keine Angst, ihre blauen Augen waren herausfordernd auf Morach gerichtet. »Ist das Schwarze Kunst, Morach?«
Morach zuckte die Achseln. »Wer weiß?« meinte sie gleichgültig. »Für den einen ist es Schwarze Magie, für den anderen das Geschäft weiser Frauen und für wieder andere die Narretei einer alten Frau, die dummes Zeug murmelt. Oft ist es wahr — mehr weiß ich auch nicht.«
Alys hob die Schultern, und auf Morachs ungeduldige Geste griff sie einen der flachen, geschnitzten Knochen, dann noch einen und einen dritten aus dem kleinen Beutel.
Morachs Augen wurden groß angesichts der Wahl. »Das Tor«, sagte sie zum ersten. »Das ist deine Wahl, da stehst du jetzt. Die drei Wege, die vor dir liegen: das Leben im Schloß mit seinen Freuden und Gefahren und seinem Profit, das Leben der Nonne, für dessen Wiedererlangung du wie eine Heilige wirst kämpfen müssen, oder die Hütte hier, mit Armut, Dreck, Hunger. Aber...« Sie lachte leise. »Unsichtbarkeit. Das Wichtigste für eine Frau, besonders wenn sie arm ist, besonders wenn sie eines Tages alt wird.«
Morach studierte den zweiten Knochen mit seiner Rune, die in rostig brauner Tinte eingeritzt war. »Eintracht«, sagte sie überrascht. »Wenn du deine Wahl richtig triffst, hast du die Chance auf Eintracht — mit deinem Herzen und deinem Verstand in Einklang zu sein. Setze dir etwas in den Kopf und bleibe dem treu. Ein Ziel, ein Gedanke, eine Liebe. Was immer es ist, was du begehrst: Zauber, deinen Gott oder Liebe.«
Alys Gesicht war schneeweiß geworden, ihre Augen fast schwarz vor Wut. »Ich will ihn nicht«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich will keine Liebe, ich will keine Wollust, ich will keine Begierde, ich will ihn nicht. Ich will dahin zurück, wo ich hingehöre, ins Kloster, wo mein Leben seine Ordnung hat, Frieden, ein wenig Sicherheit und Wohlstand. Mehr nicht.«
Morach lachte. »Also nicht sehr viel«, sagte sie. »Nicht viel für ein armes Frauenzimmer aus dem Bowes Moor, einem flüchtigen Weib, einer flüchtigen Nonne. Keine großen Wünsche — Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Eine ganz kleine Forderung!«
Alys schüttelte verärgert den Kopf. »Du verstehst das nicht!« rief sie. »Es ist wirklich eine große Forderung. Es ist mein Leben, an das ich gewöhnt bin. Es ist mein Platz auf dieser Welt, den ich verdient habe. Ich brauche es jetzt. Heiligkeit — und ein Leben in Frieden. Heiligkeit und Labsal.«
Morach schüttelte den Kopf, innerlich lächelnd. »Das ist eine seltene Kombination«, sagte sie leise. »Heiligkeit und Labsal. Ich dachte immer, daß die meisten heiligen Straßen steinig sind.«
Alys zuckte irritiert die Achseln. »Woher willst du das wissen?« fragte sie. »Welchem Weg bist du denn je gefolgt, außer dem, den du wolltest?«
Morach nickte. »Aber ich folge einem Weg«, erinnerte sie Alys. "Und mich nennen sie zu Recht eine weise Frau. Das sagt dir die Einheitsrune: Wähle einen Weg und folge ihm getreu.«
Alys nickte. »Und der letzte?«
Morach drehte den Knochen um und studierte kurz die beiden leeren Seiten. »Odin. Tod«, sagte sie beiläufig und warf alle drei zurück in den Beutel.
»Tod?« rief Alys. »Für wen?«
»Für mich«, sagte Morach ruhig. »Für den alten Lord Hugh, den jungen Lord Hugh, für dich. Hast du geglaubt, du wirst ewig leben?«
»Nein...«, stammelte Alys. »Aber... willst du damit sagen, bald?«
»Es ist immer zu früh«, erwiderte Morach, plötzlich verärgert. »Du wirst ein paar Tage der Leidenschaft erleben und deine Wahl treffen müssen, bevor du am Ziel bist. Es ist immer zu früh.«
Alys wartete ungeduldig auf mehr, aber Morach nahm einen kräftigen Schluck Tee und vermied ihren
Weitere Kostenlose Bücher