Die weise Frau
Sie roch den Duft seiner Wäsche und das beißende Aroma seines Schweißes. Sein Knie an ihren Beinen, der Druck seines dicken Lendenschurzes an ihrem Schenkel waren so nah, als wären sie nackt und alleine.
»Sehnst du dich denn nicht nach einer Kostprobe, Alys?« flüsterte er ihr ins Ohr. »Träumst du denn nicht davon, wie es sein könnte? All diese verbotenen guten Dinge? Kann ich dich nicht lehren, ein paar Regeln zu brechen? Ein paar Regeln zu brechen und Genüsse zu kosten, solange du jung und begehrenswert und heiß bist?«
Und im Schatten des Torbogens, umfangen von seiner Wärme und dem Flüstern seiner männlichen Versuchung im Ohr, drehte Alys ihr Gesicht ihm zu, schloß die Augen und wußte, daß sie ihn begehrte.
Leicht wie das Flackern einer Kerzenflamme strichen seine Lippen über ihren offenen Mund, dann hob er den Kopf und schaute mit dunklen lächelnden Augen in ihr entrücktes Gesicht.
»Ich schlafe im Augenblick alleine«, sagte er leise. »Du kennst mein Gemach, im runden Turm, über dem meines Vaters. Wann immer du willst, Alys, verlaß meinen Vater, steig höher hinauf im Turm, anstatt zu diesen albernen Frauen zu laufen. Steig hinauf, dann werde ich dir mehr geben als einen Kuß im Torbogen, mehr als nur einen Vorgeschmack. Mehr als du dir erträumen kannst.«
Alys öffnete ihre Augen, getrübt von Begierde.
Hugo lächelte sie an. Es war ein boshaftes, leichtsinniges Lächeln. »Wirst du heute Nacht kommen?« fragte er. »Soll ich ein Feuer machen und auf dich warten?«
»Ja«, sagte sie.
Er nickte, als hätten sie endlich einen angemessenen Handel besiegelt, dann verschwand er.
An diesem Abend aß Alys, als man ihn zum Tisch der Damen brachte, von dem Eber. Hugo schaute sich um, und sie sah sein geheimes Lächeln. Jetzt wußte sie, daß sie verloren war. Daß weder die Kräuter noch die warnenden Worte des alten Lords ihn hindern würden. Und daß keine Willenskraft sie aufhalten konnte.
»Was ist denn los mit dir?« fragte die gutmütige Elizabeth. »Du bist weiß wie die Wand, hast fast zwei Wochen nichts gegessen, jeden Morgen bist du vor allen anderen wach, und heute warst du den ganzen Tag taub.«
»Ich bin krank«, sagte Alys. Ihre Stimme war scharf. Bitter.
Eliza lachte. »Dann kuriere dich doch selber«, sagte sie. »Du wärst keine gute weise Frau, wenn du dich nicht selber kurieren kannst!«
Alys nickte. »Das werde ich«, sagte sie, als wäre sie endlich zu einer Entscheidung gekommen. »Ich werde mich kurieren.«
In dieser Nacht, als Alys spürte, wie ihre Haut im Mondlicht brannte, und sie wußte, daß der Mond den Weg zu Hugos Gemach durch zwanzig silbrige Schießscharten erleuchten würde und er nackt auf seinem Bett lag, daß er sie erwartete und doch nicht erwartete, erhob sie sich und ging zur Galerie Lady Catherines, wo eine Kiste mit frischen Wachskerzen stand. Alys nahm drei, wickelte sie in ein Tuch, verschnürte das Bündel fest und versiegelte die Schnur. Am nächsten Morgen schickte sie es mit einem Burgkarren zu Morachs Hütte und sagte dem Fahrer, es wäre ein Weihnachtsgeschenk für die alte Frau. Sie schickte keine Botschaft — das war überflüssig.
Am Weihnachtsabend erklomm eine der Küchenmägde die Stufen des runden Turms, um Alys zu sagen, daß eine alte Frau am Markttor nach ihr fragte. Alys machte einen kleinen Knicks vor dem alten Lord und fragte, ob sie sich kurz mit Morach treffen dürfte.
»Aye«, brachte er nur heraus. Er atmete schwer, es war einer seiner schlechten Tage. Er saß in einen dicken Umhang gehüllt vor einem prasselnden Feuer und spürte trotzdem keine Wärme. »Komm schnell zurück.«
Alys warf ihren schwarzen Umhang über die Schultern und glitt wie ein Schatten die Treppe hinunter. Der Wachraum war leer bis auf einen vor sich hindösenden Soldaten. Alys ging durch die große Halle, vorbei an einem halben Dutzend Männer, die schnarchend auf den Bänken ihren Bierrausch vom Mittag ausschliefen, durch den Servierraum in die Küche.
Die Feuer brannten, es roch nach gebratenem Fleisch und zu lange abgehangenem Wildbret. Der Boden war nach dem Mittagsmahl gefegt worden, und in den Ecken türmten sich Haufen blutigen Sägemehls. Die Köche aßen, wenn das Mahl in der Halle serviert war, das Küchenpersonal hatte die Weinkrüge geleert und döste jetzt in den Ecken. Nur der Küchenjunge, nackt bis auf seine Unterhose, der monoton den Griff des Spießes, an dem das Fleisch fürs Abendessen briet, drehte, starrte Alys an,
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