Die weise Frau
als sie im Vorbeigehen ihre Röcke hochraffte.
Sie trat in den Küchengarten. Die ordentlichen Salatbeete säumten die eine Seite des Weges, die Kräuter waren auf der anderen gepflanzt, alle mit Buchsbaumhecken eingefaßt. Am Turm, der den inneren Burgfrieden bewachte, ließen sie die Wachen mit einer zotigen Bemerkung passieren. Sie überquerte die Brücke, die den riesigen Graben mit dem fauligen, trüben Wasser überspannte, und lief dann durch den äußeren Befestigungsring, vorbei an einem kleinen Bauernhof. Eine Amsel sang in einem der Apfelbäume. Hier gab es Bienenstöcke und Schweinekoben, Hühner, die pickend herumwanderten, ein Dutzend Ziegen, zwei Kühe und ein Kalb. Hier gab es Schuppen, um Gemüse und Heu zu lagern, eine Scheune und daneben einige halbverfallene Wirtschaftsgebäude. Alys wußte, daß sie nie repariert werden würden. Es war zu teuer, eine vollständige Farm innerhalb der Burgmauern zu betreiben. Und außerdem war der Frieden im Lande augenblicklich nicht bedroht. Schottlands Armee kam nie so weit nach Süden, und die Moorbanden bedrohten Reisende, aber nicht sichere Farmen, nicht den großen Lord Hugh.
Alys ging auf das große Tor zu, in dem das bedrohliche Fallgatter den Weg auf die Zugbrücke über den äußeren Graben versperrte. In die massiven Balken des Tores war eine kleine Tür eingelassen. Nur zwei Soldaten hielten Wache, aber ein Offizier beobachtete sie durch die offene Tür des Wachraumes. Es herrschte zwar Frieden im Land, aber der junge Lord setzte nie die Sicherheit des Schlosses aufs Spiel, und er erwartete von den Soldaten für ihren Lohn zuverlässige Leistung. Einer der Wachsoldaten öffnete Alys die Tür, sie beugte den Kopf und trat hinaus in den plötzlichen Glanz der Wintersonne. Sie löste sich aus dem Schatten der Burg und fühlte sich mit einem Mal frei.
Morach erwartete sie. Sie war noch schmutziger und gekrümmter als zuvor. Vor den wuchtigen Burgmauern wirkte sie noch kleiner als vor ihrem eigenen Herd.
»Ich hab sie gebracht«, sagte sie ohne ein Wort des Grußes. »Wieso hast du dir's anders überlegt?«
Alys nahm Morachs Arm und entfernte sich mit ihr vom Schloß. Entlang der Hauptstraße der Stadt waren Marktbuden aufgestellt, in denen Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Eier und die großen, blassen Käse aus den Cotherstone-Molkereien verkauft wurden. Ein halbes Dutzend fahrende Händler hatten ihre Stände mit allerlei Schnickschnack aufgestellt. Sogar Zinngeschirr gab es dort zu kaufen, und sie priesen ihre Waren als Weihnachtsgeschenke für die Herzallerliebste an. Alys sah David durch die Reihen von Ständen gehen und die besten Sachen aussuchen. Auf sein Zeichen bezahlte der Diener in seiner Begleitung alles in schweren Münzen. Er war zurückhaltend. Er zog es vor, die Ware direkt von den Lehnsgütern des Lords zu beziehen. Die Bauern durften nicht selbst die Preise bestimmen, und alles, was der Lord brauchte, konnte man als Teil der Lehnsabgaben bestellen. Alys zog Morach weg, vorbei an den Ständen und den schwatzenden Frauen, den Hügel hinunter. Dort setzten sie sich auf eine Mauer, die die Grenze einer Weide markierte, und schauten hinunter ins Tal auf den Fluß, der am Fuß der Burgklippe entlangrauschte.
»Du wirst hübscher«, sagte Morach mißbilligend. Sie strich mit einer schmutzigen Hand über Alys' Gesicht. »Schwarz steht dir nicht«, sagte sie. »Aber mit der Haube schaust du aus wie eine Frau, nicht wie ein Kind.«
Alys nickte.
»Und du bist sauber«, sagte Morach. »Du siehst aus wie eine Dame. Du bist runder im Gesicht, du siehst wohl aus. Deine Brüste werden größer und dein Gesicht feiner. Neues Kleid.«
Alys nickte wieder.
»Zu hübsch«, sagte Morach listig. »Zu hübsch, um zu verschwinden, selbst in einem dunkelblauen Kleid und einer Haube, groß wie ein Haus. Hat die Wirkung der Tisane nachgelassen? Oder liegt es daran, daß er dich trotzdem anziehend findet?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Alys. »Ich glaube, er redet nur aus schierer Teufelei mit mir. Er hat gewußt, daß ich ihn nicht will, und er weiß, daß seine Frau mich beobachtet wie eine Katze das Mauseloch. Der Teufel läßt ihn mit mir spielen. Aber seine Lust befriedigt er anderswo.«
Morach hob die Schultern. »Dagegen ist kein Kraut gewachsen«, sagte sie. »Lust kann man gelegentlich in andere Bahnen lenken, aber nicht Grausamkeit oder Spiel! Er wird seinen Spaß haben, wie und wo er will«, schloß sie. »Das wirst du erdulden müssen.«
»Es
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