Die weise Frau
verschworen wäre, von mir abhängig? Eine Frau, die mir Augen und Ohren wäre. Wie du Auge und Ohr für meinen Vater bist?«
Alys war unfähig, sich zu bewegen. Sein Flüstern war hypnotisierend, er lockte sie in eine Falle, die sie nicht erkennen konnte.
»Ich muß frei sein«, sagte sie mit leiser, sehnsüchtiger Stimme.
»Führe ich dich in Versuchung, Alys?« fragte er leise. »Der Reichtum und die Macht?«
Er sah, wie ihre Augen sich verdüsterten, wie vor Verlangen.
»Und Lust«, fuhr er fort. »Nächte und lange Tage voller Lust mit mir?«
Alys wich zurück wie vor einem Guß kalten Wassers. Sie entzog ihm ihre Hände.
»Ich muß gehen«, sagte sie kurz.
Er erhob sich mit ihr, schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sein Mund senkte sich über ihren. Alys merkte, wie ihr Kopf sich zurücklehnte, ihr Mund sich öffnete.
Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück.
Alys taumelte kurz, bis sie wieder das Gleichgewicht fand.
»Geh jetzt«, sagte er. Seine dunklen Augen funkelten boshaft. »Du kannst jetzt gehen, Alys. Aber du lernst bereits, wer dein Gebieter ist, nicht wahr? Du kannst dich nicht mehr lange hinter meinem Vater verstecken. Ich hab schon viele Weiber besessen, und ich kenne die Anzeichen. Du begehrst mich, obwohl du es noch gar nicht weißt. Du hast den Köder geschluckt, wie ein Halm in der Frühlingsflut. Du kannst schwimmen, soviel du willst, ich werde dich doch an Land ziehen. Du wirst von mir träumen, Alys, du wirst dich nach mir sehnen. Und am Ende wirst du zu mir kommen und mich anflehen, dich zu berühren.«
Er belächelte ihr weißes Gesicht.
»Und dann werde ich ganz sanft mit dir sein«, sagte er. »Und dich ganz zur meinen machen. Und du wirst nie wieder frei sein.«
Alys wandte sich von ihm ab und stolperte zur Küchentür.
»Du hast den Köder geschluckt«, murmelte er leise, als sie die Tür öffnete und durch den Vorraum in die große Halle floh. »Du hast den Köder geschluckt, meine Alys.«
Zwölf Nächte lang lag Alys schlaflos und wartete auf das Morgengrauen, das mit der Langsamkeit des Winters träge aufzog. Zwölf Tage lang erledigte sie wie im Traum ihre Arbeit für den alten Lord, schrieb, was er befahl, ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Sie pflückte Kräuter für ihn, brühte sie auf oder stampfte sie. Sie saß in Lady Catherines Zimmer und nickte und lächelte, wenn sie aufgefordert wurde zu sprechen.
Zwölf Tage lang watete sie durch ein Tal der Finsternis und Verwirrung. Nie hatte sie sich mehr nach den stillen Gewißheiten von Mutter Hildebrande gesehnt. Nie war ihr der Verlust dieser geordneten, einfachen Tage schmerzlicher bewußt gewesen. Zwölf Tage wanderte Alys wie ein Geist durchs Schloß, und wenn sie eine Tür schlagen hörte und Hugos fröhliches Pfeifen, mußte sie feststellen, daß sie wie im Fieber zitterte.
Eines Tages, als Hugo, ohne Kappe — die hatte ihm der Wind auf dem Moor weggeblasen —, mit strahlendem Gesicht von der Jagd zurückkehrte, stand sie gerade neben dem Tor. Als er ihrer ansichtig wurde, sprang er aus dem Sattel und warf die Zügel einem der Männer zu.
»Ich hab dir ein fürstliches Mahl erlegt, Alys!« sagte er fröhlich. »Einen Eber. Er wird in der Küche gefüllt werden, und ich werde befehlen, daß sein Kopf dir persönlich zu Füßen gelegt wird. Du wirst saftiges Fleisch bekommen, eine dunkle Soße und eine köstliche Honigkruste! Meine Alys!«
Alys tastete nach ihrem Korb. »Ich faste«, hauchte sie atemlos. »Heute ist St. Andreas, Mylord. Ich esse heute kein Fleisch.«
Er lachte, als wäre das alles egal. »Unsinn!« rief er. »Alys, klammere dich nicht an die alten toten Bräuche, die keinem mehr etwas bedeuten! Iß Fisch, wenn dir danach ist. Iß Fleisch, wenn du hungrig bist! Das kannst du mir nicht antun! Den ganzen Tag läßt du mich reiten und auch noch einen Eber jagen, und dann wendest du dich von mir ab und sagst, du willst nicht mit mir speisen!«
Alys spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie umklammerte den Korb noch fester. »Ihr müßt mich entschuldigen«, sagte sie. »Ich...«
Von hinten ertönte ein Schrei, und ein Karren kam durch das schmale Tor. Hugo stemmte seine Hände links und rechts von Alys' Kopf gegen die Wand. Sie preßte sich gegen die Wand und spürte, wie er langsam seinen warmen Körper an sie lehnte. Ihr Mieder war wie eine Rüstung, ihre Haube ein Helm. Aber als Hugo sich an sie drückte, spürte sie die Hitze seines Körpers durch ihre Kleider.
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