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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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getötet worden waren. Deshalb patrouillierten nachts deutsche Streifen mit ihren Barbierschüsseln auf dem Kopf. Sie gingen, ihre Taschenlampen leuchteten – keine Dummheiten! Aber keine Taschenlampe konnte den trüben Wirrwarr, der in den Köpfen enstanden war, auflösen.
    Wilhelm. Wilhelm. Gestern drei Deutsche getötet. O Gott, die Deutschen ziehen ab, wissen Sie schon? In Moskau haben Arbeiter Trotzki verhaftet! Irgendwelche Halunken haben einen Zug bei Borodjanka angehalten und gänzlich ausgeplündert. Petljura hat eine Gesandtschaft nach Paris geschickt. Und wieder Wilhelm. Schwarze Senegalesen in Odessa. Ein unbekannter geheimnisvoller Name – Konsul Enno. Odessa. Odessa. General Denikin. Und wieder Wilhelm. Die Deutschen gehen, die Franzosen kommen.
    »Die Bolschewiken kommen, mein Lieber!«
    »Hüten Sie Ihre böse Zunge, mein Lieber!«
    Die Deutschen haben so einen Apparat mit Zeiger, man stellt ihn auf die Erde, und der Zeiger zeigt an, wo Waffen vergraben sind. Das ist ein Ding. Petljura hat den Bolschewiken eine Gesandtschaft geschickt. Das ist ein noch tolleres Ding. Petljura. Petljura. Petljura. Peturra.

    Niemand, kein Mensch wußte, was dieser Petljura in der Ukraine eigentlich schaffen wollte, aber alle, ohne Ausnahme, wußten, daß er, der Geheimnisvolle und Gesichtslose
    (obwohl die Zeitungen von Zeit zu Zeit das erstbeste der
    Redaktion in die Hände gefallene Bild eines katholischen
    Prälaten – jedesmal eines anderen – mit der
    Unterschrift »Simon Petljura« veröffentlichten), die Ukraine erobern und, um sie zu erobern, die STADT einnehmen wolle.

6
    Das Geschäft der Madame Anjou »Pariser Chic« befand sich direkt im Zentrum der STADT, im Parterre eines mächtigen mehrstöckigen Hauses in der Teatralnaja-Straße, die hinter dem Operntheater verläuft. Drei Stufen führten zu der gläsernen Eingangstür; die beiden Schaufenster rechts und links waren mit staubigen Tüllgardinen verhängt. Niemand wußte, wo Madame Anjou geblieben war und warum ihre Geschäftsräume nun handelsfremden Zwecken dienten. Auf das linke Fenster war ein bunter Damenhut gemalt, darüber stand in goldener Schrift »Chic parisien«, und im rechten Fenster hing ein riesiges Plakat aus gelbem Karton mit zwei gekreuzten Sewastopoler Kanonen, wie auf den Achselstücken der Artilleristen, und der Überschrift:

    »Held brauchst du nicht zu werden, aber Freiwilliger zu werden ist deine Pflicht.«

    Darunter stand:

    »Hier werden Meldungen für den freiwilligen Dienst in der Mörserdivision des Oberbefehlshabers entgegengenommen.«

    Vor dem Eingang zum Geschäft stand ein auseinandergeschraubtes rußiges Motorrad mit Beiwagen. Die gefederte Eingangstür klappte dauernd, und jedesmal, wenn sie sich öffnete, ertönte über ihr ein herrliches Glöckchen – klingeling-klingeling, das an die unlängst vergangenen glücklichen Zeiten der Madame Anjou erinnerte.

    Turbin, Myschlajewski und Karausche waren nach der trunkenen Nacht fast gleichzeitig aufgewacht, zu ihrem Erstaunen mit vollkommen klarem Kopf, aber ziemlich spät, so gegen Mittag. Nikolka und Scherwinski waren nicht mehr da. Nikolka hatte am frühen Morgen ein geheimnisvolles rotes Päckchen gepackt, ein bißchen gestöhnt – ach, ach – und war dann zu seiner Abteilung gegangen, und Scherwinski war kurz darauf zu seinem Dienst beim Stab des Befehlshabers gefahren. Myschlajewski hatte sich in Anjutas vertrautem Zimmer hinter der Küche, wo hinter einem Vorhang der Badeofen und die Badewanne standen, bis zum Gürtel entblößt und goß sich eiskaltes Wasser über Hals, Rücken und Kopf, wobei er vor Schreck und Begeisterung schrie: »Ah! Gut! Prima!«
    In weitem Umkreis war alles vollgespritzt. Dann frottierte er sich mit dem Badetuch ab, kleidete sich an, pomadisierte und kämmte sich und sagte dann zu Turbin:
    »Aljoscha, hm … sei so gut, gib mir deine Sporen. Nach Hause schaff ich’s nicht mehr, und ohne Sporen möcht ich dort nicht erscheinen.«
    »Nimm sie dir, im Arbeitszimmer, rechte Schreibtischschublade.«
    Myschlajewski ging ins Arbeitszimmer, machte sich dort klirrend zu schaffen und kam wieder zurück. Die schwarzäugige Anjuta, die am Morgen vom Ausgang zur Tante zurückgekehrt war, fuhr mit dem Staubwedel über die Sessel. Myschlajewski räusperte sich, schielte zur Tür, und statt geradeaus zu gehen, machte er einen Umweg und sagte leise:
    »Guten Tag, Anjutalein.«
    »Ich sag’s Jelena Wassiljewna«, flüsterte Anjuta mechanisch und ohne

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