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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Arzt kam es vor, als habe jener schräge Mongolenaugen. Ein zweiter kam um die Ecke gelaufen und zog den Gewehrverschluß zurück. Die Verblüffung im Gesicht des ersten wechselte in unverständliche hämische Freude über.
    »Teufel noch mal!« schrie er. »Petro, sieh mal, ein Offizier!« Als ob er, ein Jäger, am Wegesrand unerwartet einen Hasen erblickt hätte.
    Wieso? Woran sieht man das? hämmerte es in Turbins Kopf.
    Das Gewehr des zweiten verwandelte sich in ein kleines schwarzes Loch, nicht größer als ein Zehnkopekenstück. Dann merkte Turbin, daß er wie ein Pfeil durch die Wladimirstraße sauste und daß die Filzstiefel sein Verderben waren. Von hinten knallte es zischend heran – fuitt …
    »Halt! Hal … Haltet ihn!« Es knallte wieder. »Haltet den Offizier!« dröhnte und schrie die ganze Wladimirstraße. Noch zweimal knallte es lustig, die Luft zerreißend.
    Es genügt, einen Menschen mit Schüssen zu jagen, damit er sich in einen schlauen Wolf verwandelt; an Stelle des schwachen und in wirklich schwierigen Situationen überflüssigen Geistes erwächst ihm ein weiser tierischer Instinkt. Nach Wolfsart drehte sich Turbin im Rennen an der Ecke zur Malo-Prowalnaja-Straße um, sah das schwarze Loch sich in rundes weißes Feuer hüllen, beschleunigte die Schritte und bog in die Malo-Prowalnaja ein, womit er das zweite Mal in diesen fünf Minuten seinem Leben eine entscheidende Wendung gab.
    Der Instinkt: Sie verfolgen mich hartnäckig, sie bleiben nicht zurück, sie holen mich ein, und wenn sie mich eingeholt haben, töten sie mich unweigerlich. Sie töten mich, weil ich geflohen bin, weil ich kein Dokument in der Tasche habe, aber einen Revolver und einen grauen Militärmantel trage; sie töten mich, weil man beim Laufen einmal Glück hat und auch ein zweites Mal, aber beim drittenmal treffen sie. Ja, beim drittenmal. Das ist eine schon von alters her bekannte Zahl. Bald ist es aus: noch eine halbe Minute. Die Filzstiefel sind mein Verderben. Alles ist unvermeidlich. Da es so war, sprang die Angst durch den Körper und die Beine in die Erde. Durch die Beine drang wie eine eisige Wasserwelle die Wut in ihn ein und floß als kochendes Wasser aus seinem Mund. Turbin schielte im Laufen nach hinten wie ein Wolf. Zwei Graue, hinter ihnen ein dritter, sprangen um die Ecke der Wladimirstraße, und alle drei blitzten fast gleichzeitig. Turbin verlangsamte den Lauf, fletschte die Zähne und schoß dreimal auf sie, ohne zu zielen. Dann lief er wieder schneller, sah undeutlich vor sich dicht an der Wand, an der Regenrinne, einen zarten schwarzen Schatten huschen und merkte, daß ihn jemand mit hölzerner Zange an der linken Achselhöhle packte, wovon sein Körper merkwürdig schräg seitlich zu laufen begann. Noch einmal drehte er sich um, gab gelassen drei Schüsse ab und befahl sich streng, nach dem sechsten Schuß aufzuhören.
    Die siebente ist für mich. Rothaarige Jelena und Nikolka. Alles ist aus. Sie werden mich foltern. Mir Schulterklappen in die Haut schneiden. Die siebente ist für mich.
    Schräg lief er weiter und stellte etwas Merkwürdiges fest: Der Revolver zog den rechten Arm abwärts, schwerer aber schien der linke zu sein. Es war überhaupt an der Zeit stehenzubleiben. Luft hatte er sowieso keine mehr, es konnte nichts mehr werden. Bis zu einer Biegung dieser wunderlichsten Straße der Welt schaffte er es dennoch, verschwand dahinter und hatte für kurze Zeit Erleichterung. Weiterhin sah es hoffnungslos aus: eine blinde, durchgehende Gitterwand, dort das gewaltige Tor – verschlossen, dort – wieder verschlossen … Ein lustiges, unsinniges Sprichwort kam ihm in den Sinn: »Strample nicht unnütz an der Oberfläche herum, Gevatter, geh gleich zu den Fischen!«
    Und da erblickte er sie im Moment des Wunders an der bemoosten schwarzen Wand, die das verworrene Muster der Gartenbäume abschloß. In dieser Wand halb versteckt, die Arme wie in einem Melodrama ausstreckend, mit vor Entsetzen übergroßen, leuchtenden Augen rief sie:
    »Offizier! Hierher, hierher …«
    In den etwas rutschenden Filzstiefeln, mit aufgerissenem Mund voll heißer Luft, keuchend lief Turbin langsam auf die rettenden Arme zu und verschwand mit ihnen in dem engen Spalt der Pforte in der schwarzen Holzwand. Sogleich war alles anders. Unter den Händen der schwarzgekleideten Frau schloß sich die Pforte, fiel ins Schloß. Die Augen der Frau waren direkt vor den seinen. In ihnen sah er verschwommen Entschlossenheit, Tatkraft

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