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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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schlichten Wache. Ich interpretierte das so, daß Victors Vorschlag von Sunny angenommen war. Wir zögerten ein paar Sekunden und folgten ihm zu seinem BMW, dessen Schlag aufgerissen wurde. Jetzt verstand ich, warum Sunny einen Handschuh trug: Einer der Wächter reichte ihm einen etwa krähengroßen Vogel, der eine Kappe auf dem Kopf trug und bei der Übergabe kurz mit den Flügeln schlug - ein Falke. Vollkommen selbstverständlich setzte er sich auf den Handschuh und drehte seinen Kopf mit kurzen, ruckartigen Bewegungen, bevor er wie eine leblose Statue erstarrte. Wegen der flirrenden Sonne auf dem staubigen Platz trug Sunny eine breite Sonnenbrille unter seinem Leopardenkäppi. Mit dem Stock in der einen Hand, der wie das Zepter eines Königs wirkte, und dem durch die Kappe blinden Falken auf der anderen verströmte der kleine runde Mann eine abschreckend intensive Autorität, die uns Distanz halten ließ.
    „Du sprichst mit dem Herzen, Victor“, nuschelte Sunny. Ich konnte ihn kaum verstehen. „Du solltest die Aufgabe, die dein Vater für dich vorgesehen hat, aber nicht mit dem Herzen ausführen.“
    Trotz seiner Leibesfülle und den ganzen Accessoires seiner Autorität glitt Sunny elegant in den Wagen, der mit einer langen Staubfahne über den Platz davonpreschte. Ich sah Victor an, der wie erstarrt dastand und sich nicht rührte. Sein Gesicht wirkte wie versteinert. „Was hat er damit gemeint?“ fragte ich und griff vorsichtig nach der eiskalten Hand meines Prinzen.
    „Es wird kein Krankenhaus geben. Das hat er damit gemeint“, erwiderte Victor.
    Keine Aussprache, kein Austausch von Meinungen. Ein verklausuliertes Dekret und sonst nur Schweigen.
    „Aber er hat doch eine Verantwortung für die Leute, und alle waren begeistert“, sagte ich fassungslos. Victor schwieg und stieg ins wartende Taxi, das uns nach Warri zurückbrachte. Für den Weiterflug nach Lagos war es inzwischen zu spät. Wir verbrachten eine Nacht in einem modernen Hotel, in dem die Klimaanlage nicht funktionierte und die Mücken nervten. Zerstochen und ziemlich ernüchtert, flogen wir am nächsten Morgen nach Lagos.
    Victor hatte nur die Rolle des Kronprinzen zu spielen. Sunny genoß Autorität und Ansehen. Gegen beides durfte Victor nicht ankämpfen, wenn er nicht wollte, daß man ihm mangelnden Respekt vorwarf. Die Achtung vor dem Alter ist die Grundlage für das Funktionieren dieser Gesellschaft. Sunny benutzte seine ihm aufgrund seines Alters zukommende Stellung, und damit lag die Macht, Dinge zu verändern, in seinen Händen. Er wußte, wie diese Macht
    richtig eingesetzt wurde: Man gab nicht das klitzekleinste Stückchen davon an einen Jüngeren ab.
    Ich hatte einen bitteren Vorgeschmack auf das vermeintlich süße Leben eines nigerianischen Prinzen bekommen, der im Prinzip nur eines machen konnte, wenn er selbst Einfluß ausüben wollte: warten, bis seine Zeit gekommen ist. Doch Victor war nicht der Typ dazu. Er sah die Fehler der Älteren, das Unrecht, das ihr System hervorbrachte. Er wußte, wie und was zu ändern war, und hatte deshalb nicht die Geduld zu warten. Dieser innere Konflikt drohte ihn zu zerreißen. Auch, wenn sein kühles, beherrschtes Auftreten das verbarg.
    Für den Montag der folgenden Woche hatte Victor einen Flug nach Argentinien gebucht. Gemeinsam mit seinem einzigen nigerianischen Freund, den ich je kennenlernte, wollte er dort sündhaft teure Polo-Ponys kaufen: Der Lagos Polo-Club sollte zum imageträchtigen winning team hochgepusht werden. Ich fand das seltsam, angesichts der Armut der Massen. Die heranwachsende Elite, zu der Victor gehörte, sah das anders: Durch die sportlichen Leistungen ihrer Mannschaft verschafften sie sich selbst Ansehen und konnten somit in der festgefügten Struktur der Gesellschaft nach oben kommen. Ich brachte Victor gemeinsam mit Femi zum Murtala Mohammed Airport. Es ging mir nicht besonders gut. Trotz der Hitze fror ich.
    „Ich beanspruche dich zuviel. Ruh' dich aus“, sagte Victor zum Abschied.
    „Ich komme schon zurecht. Paß auf dich auf.“
    „Ende der Woche bin ich zurück“, versprach er.

Er irrte sich.
    Vier Tage später bekam ich hohes Fieber, fühlte mich matt und ging früh schlafen. Ich tippte auf eine Erkältung. Am Tag darauf bekam ich Kopfweh, übergab mich. In der Nacht folgte Schüttelfrost. Ich schickte Femi los, um Abiola zu informieren. Die beiden kamen mit Abiolas Vetter zurück. Der Arzt brauchte nicht lange, um herauszufinden, was ich hatte -

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