Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
vertuscht, aber es gab genug Leute, die sich über diese Angelegenheit Gedanken machten.
    »Wie geht es Ihrem Jungen?« erkundigte sich Luise Lauffer.
    »Er kommt in der Schule gut vorwärts«, erwiderte Kolberg. »Unlängst hat er eine Dampfmaschine gebastelt.«
    »Ich hoffe, sie explodiert nicht. Wollen Sie ihn besuchen?«
    »Unbedingt.«
    Sie hatte den Jungen einmal gesehen. Er war ein aufgeweckter Bursche von acht Jahren, der die Augen seiner Mutter hatte und das kantige, scharf geschnittene Gesicht des Vaters. Kolberg hatte seinen Sohn in einer teuren Privatschule in der Wellington Street untergebracht. Der Junge wohnte auch dort im Internat.
    Luise Lauffer erhob sich. »Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen, werde ich Brautmann anrufen.«
    Kolberg blickte auf die Uhr. »Ob er jetzt noch im Dienst ist?«
    »Sicherlich nicht«, meinte sie. »Er wird zu Hause sein in seiner Villa am Peak. Da ist er sowieso die meiste Zeit. Das Konsulat ist noch nicht eingerichtet.«
    Sie ging. Kolberg sah ihr nach, bis sie in der Halle verschwunden war. Dann schaute er auf das Meer. Die Sterne spiegelten sich im glatten Wasser der Bucht. Ihre Lichter mischten sich mit den flackernden Karbidlampen der Fischer auf den Dschunken. Die Luft, die von See her kam, war kühl. Sie roch nach Salz und Tang. Ein Motorboot mit einem Wellenreiter im Schlepp flitzte durch die Bucht. Es hinterließ einen Silberstreifen aufgewühlten Wassers.
    Auf dem vorderen Teil der Terrasse wurde getanzt. Die Musik war weich und einschmeichelnd. Kolberg betrachtete die Paare, wie sie sich aneinanderschmiegten, und er dachte daran, daß in diesem Augenblick einige hundert Meilen weiter nördlich lebensfrohe, gesunde Menschen starben. Er griff nach dem Weinglas, aber er trank nicht. Es schmeckte ihm nicht mehr. Er drehte den geschliffenen Kelch langsam an seinem Stiel und starrte wieder hinaus auf die Bucht.
     
    *
    Der Peak, jene höchste Erhebung Hongkongs mit ihren reizvollen Grünanlagen und versteckt angeordneten Bungalows, hatte Otto Brautmann, den Diplomaten aus Bonn, auf den ersten Blick angezogen. Er erkannte sofort, daß dieses elegante und stille Viertel hoch über der Stadt der ideale Wohnplatz für jeden Europäer sein mußte. In der Tat war die Gegend am Peak im Verlaufe einiger Jahrzehnte zur exklusiven Residenz der Fremden in der Kolonie geworden.
    Im Jahre 1881 hatte der damalige britische Gouverneur von Hongkong die Petition eines gewissen Mister Findlay Smith erhalten, in der er gebeten wurde, dem Antragsteller die Erlaubnis zum Bau einer Drahtseilbahn zu erteilen. Sie sollte von der Queens Road bis hinauf zum Peak führen, dem landschaftlich schönsten Punkt der einige hundert Meter hohen Hügelkette auf der Insel.
    Vier Jahre vergingen, bis Mister Smith den Widerstand aller möglichen Verwaltungsstellen und Konkurrenten überwunden hatte und alle erforderlichen Genehmigungen in Händen hielt. Dreißig Monate später konnte die Bahn in Betrieb genommen werden.
    Bis dahin hatte in dem einzigen Haus auf dem Peak ein reicher chinesischer Kaufmann ganz abgeschieden gewohnt und alles, was er brauchte, mit einem Kamel den Berg hinaufschaffen lassen. Seine selbstgewählte Einsamkeit war nun zu Ende, denn die Peak-Bahn beförderte jeden für sechzig Cent in zehn Minuten auf den Hügel. Daraufhin verließ der Mann sein Haus und wurde nicht mehr gesehen. In den folgenden Jahren schossen die Villen an den grünen Hängen des Peaks wie Pilze aus der Erde. Zahlungskräftige Bankiers, Kaufleute, Diplomaten und Nichtstuer aller Art ließen Häuser aus Glas und Marmor errichten, phantastische Gebilde, in deren Bauweisen sich die ausgefallensten Ideen der teuersten Modearchitekten Frankreichs, Amerikas und Englands widerspiegelten. Gepflegte Gärten und Wege wurden angelegt. Bald bildete die Gegend einen solchen Kontrast zu der unverhüllten Armut der chinesischen Bevölkerung in Aberdeen oder in Wanchai, daß sich die Bewohner des Peaks in eine völlig andere Welt versetzt wähnten. Damit war die Isolation der Besitzenden, der Kolonialunternehmer, trotz der Peak-Bahn wieder erreicht.
    Der Generalkonsul der deutschen Bundesrepublik bewohnte hier oben einen asymmetrisch angelegten Bungalow, der an die Traumbauten aus Hollywoodfilmen erinnerte. Als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, stand der etwas rundliche Otto Brautmann gerade mit einem Glas eisgekühlten Vermouth an einem der breiten Fenster der Vorderfront und blickte auf die Lichter im

Weitere Kostenlose Bücher