Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
haben, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als noch einmal mit Nora zu sprechen. Sie weiß, ob Leonie und Toni beide zur Tatzeit im Haus waren. Selbst wenn sie gegangen ist, bevor es passierte.«
»Ich bin mir sicher, dass sie dabei war. Dass sie die Tat beobachtet hat.«
»Warum auf einmal?«, fragte Salomon.
»Denk an das Bild, das sie gemalt hat. Das blonde Mädchen mit dem schiefen Hals. Sie hat die Tote gesehen! Außerdem hat sie nicht ein einziges Mal versucht herauszufinden, ob das Opfer wirklich Toni ist. Dafür kann es nur einen Grund geben: Sie wusste, dass es nicht Toni war. Nur so lässt sich erklären, dass sie uns nicht die Wahrheit gesagt hat. Sie will ihre Freundin decken.«
Salomon griff nach dem Telefon. »Dann wollen wir doch mal hören, was sie dazu zu sagen hat.«
Lydia stand auf. »Nicht am Telefon. Ich möchte ihr Gesicht sehen.«
Klaus Halverstett nippte an seinem Prosecco. Eigentlich mochte er dieses Zeug nicht, aber was tat man nicht alles um des lieben Friedens willen! Veronika trug ein hautenges schwarzes Kleid, das ihr ausgesprochen gut stand, trotzdem gefiel sie ihm nicht darin. Es betonte ihre Magerkeit. Sie wirkte hart und knochig. Er schämte sich für seine abfälligen Gedanken, wandte sich ab und ließ seinen Blick durch das Foyer des Schauspielhauses schweifen.
»Wir sind viel zu selten hier«, bemerkte er, nur um etwas zu sagen.
» Du bist zu selten hier, mein Lieber«, konterte Veronika. »Ich gehe recht oft ins Theater.« Sie musterte ihn abschätzend von oben bis unten, und Halverstett ahnte, dass ihr Urteil nicht besser ausfiel als das seine. Im Gegenteil, vermutlich ließ sie kein gutes Haar an ihm. Er hatte nicht die Zeit gehabt, sich umzuziehen, hatte es auch nicht für nötig befunden. Ein Irrtum, wie er nun feststellen musste. Neben ihrer eleganten Erscheinung wirkte er vermutlich wie ein Trampel.
Halverstett trank seinen Prosecco in einem Zug aus und erntet einen missbilligenden Blick.
»Sollen wir hochgehen?«, fragte er.
»Wir haben noch jede Menge Zeit.« Ihre Augen schweiften suchend umher, Veronika musterte die übrigen Theaterbesucher, die in kleinen Grüppchen zusammenstanden, so als halte sie nach jemandem Ausschau. Plötzlich glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Halverstett drehte erstaunt den Kopf, um herauszufinden, was diesen Stimmungswandel bei seiner Frau ausgelöst hatte. Zunächst fiel ihm nichts auf, doch dann entdeckte er einen Mann, der sich aus der Menge schälte und auf sie zukam.
Er war etwa in Halverstetts Alter, doch das war so ziemlich das Einzige, was er mit ihm gemeinsam hatte. Er war schlank, sein volles Haar schimmerte silbrig elegant, sein Anzug sah unverschämt teuer aus und saß perfekt. Das Glas Prosecco hielt er mit einer solch lässigen Selbstverständlichkeit, als sei er damit geboren.
»Meine liebe Veronika«, säuselte er, als er zu ihnen trat. »Wie schön, dich zu sehen.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ganz meinerseits, Richard.« Veronika drehte sich zu Halverstett um. »Darf ich vorstellen, Richard Weidenrath, ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber. Richard, das ist mein Mann Klaus.«
»Nicht einfach nur ein Kunstliebhaber«, verbesserte Weidenrath und reichte Halverstett die Hand, ohne seinen Blick von Veronika abzuwenden. »Sondern Liebhaber einer ganz besonderen Künstlerin.« Er lächelte anzüglich, Veronika errötete.
Halverstett schwirrte der Kopf.
»Angenehm«, murmelte er und blickte hilflos von Weidenrath zu Veronika. Was sollte das alles? Wollte dieser eitle Pfau ihn provozieren? War er Veronikas Geliebter? Ein Anhänger ihrer Malkunst? Oder beides? War das Veronikas Art, ihm mitzuteilen, dass sie ein Verhältnis hatte?
Das Klingeln riss ihn aus seiner Erstarrung.
»Wollen wir?«, fragte Weidenrath und bot Veronika seinen Arm.
Halverstett fehlten die Worte. Ein Zufall war dieses Treffen jedenfalls nicht. Im Foyer des Schauspielhauses, was wollte seine Frau damit bezwecken? Den größtmöglichen dramatischen Effekt?
Veronika und ihr Begleiter waren bereits ein paar Schritte vorausgegangen, jetzt drehte sie sich noch einmal um. »Was ist, Klaus? Worauf wartest du?«
»Sei mir nicht böse«, erwiderte Halverstett betont ruhig. »Aber mir ist heute nicht nach Theater. Du bist ja in guten Händen und kommst sicherlich auch ohne mich klar.«
Einen Augenblick lang musterte sie ihn schweigend. »Ganz wie du meinst«, sagte sie schließlich und wandte sich ab.
Halverstett knallte sein
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