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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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üblich war. Schließlich war sie zuvor noch keinem begegnet.
    »Dichtet es denn gut?« Sie redete nur, um ihre Enttäuschung zu überspielen. Nun würde sie bis zum nächsten Abend warten müssen, um ihre Frage nach der Spinne vorzubringen.
    »Gut? Bei Neptuns Algenpunsch!« Der Alte verdrehte die Augen zum Himmel. »Hab selten einen schlechteren Dichter gehört. Ganz schauderhaft, Himmel und Hölle! Aber hier gibt’s ein paar, die sich alles merken und daraus Lieder für die Taverne machen.«
    Höflich erwiderte sie sein Lachen, wurde aber unterbrochen, als aus dem unbewegten Kopf der Galionsfigur eine knarrende Stimme ertönte.
    »Silentium! Ruhe! Ich bitte um Rücksicht für jene, die etwas von Poesie verstehen!«
    Jolly stutzte. Das also war die Stimme des Orakels. Sie klang weder männlich noch weiblich.
    »Silentium!«
    Das Publikum verstummte.
    Munk schlüpfte neben Jolly zwischen den Zuschauern hervor. »Ziemlich verrückt, was?«
    Sie nickte nur und lauschte.
    Das Orakel hüstelte vernehmlich, dann erhob es abermals seine schnarrende Stimme:
    Es lebte einstmals ein Korsar, scharf der Säbel, schwarz das Haar, speiste gern Frutti del Mar - nur ein Schiff, das
    fehlte.
    Würgte Kinder, alte Fraun, Köpfe hat er abgehaun, plünderte ganz Kingston Town - doch das Schiff, das
    fehlte.
    Rum schmeckt auch zum Frühstück (sagt er), warum nicht zum Nachtisch? (fragt er), Rum am Abend, Morgen, mag
    er.
    Hilft alles nichts: Das Schiff, das fehlt.
    Mit Beutegold ging er eins kaufen, sollte frisch vom Stapel laufen, darauf ging er einen saufen.
    Am Tag danach: Das Schiff war weg!
    Gelernt hat er daraus das eine: Manchmal haben Schiffe Beine, lichten Anker ganz alleine. Was sie nicht stört: Der Captain fehlt.
    Und der Korsar? Er blieb an Land.
    Freute sich, als er am Strand die Wracks von zwei, drei Schiffen fand.
    Hat sich daraus ein Haus gebaut.
    Jolly blinzelte benommen ins Fackellicht. Keiner sprach ein Wort.
    »Uh«, machte Munk und sah aus, als hätte er Zahnschmerzen. »Das war .«
    »Nicht gut?«, schlug Jolly vor.
    Im selben Augenblick hob lauter Jubel an. Die Piraten übertrafen sich gegenseitig mit ihren Hochrufen. Kerle, die ein Gedicht nicht von einem Schimpfwort unterscheiden konnten, priesen mit heiseren Stimmen die hohe Dichtkunst des Orakels. Andere prophezeiten ihm eine goldene Zukunft als Meister klangvoller Piratenpoesie.
    Jolly sah Munk an. »Das meinen die nicht ernst, oder?«
    Munk schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich schätze mal, Piraten müssen nichts von Kunst verstehen.«
    Griffin streckte das Gesicht aus der Menge, glühend vor Begeisterung. »Hey, das war toll, oder?«
    Jolly und Munk wechselten einen weiteren Blick.
    »Ganz toll«, sagten sie im Chor. Munk machte eine Geste, als wollte er sich den Zeigefinger in den Hals stecken, und Jolly musste mit einem Mal derart lachen, dass sie kaum noch Luft bekam.
    »Was ist los?«, fragte Griffin verdutzt.
    Jolly lachte nur noch lauter, Munk stimmte mit ein, und jetzt grinste sogar der alte Seebär, bevor er sich wieder die Pfeife zwischen die Lippen steckte und davonging. Nach wenigen Schritten wurde er eins mit der Dunkelheit.
    Jolly japste nach Luft, konnte schließlich wieder atmen, beruhigte sich aber noch immer nicht. Munk massierte sich den Bauch.
    »Also, könnte mir vielleicht mal jemand sagen . «, begann Griffin, wurde aber unterbrochen, als eine Hand auf seiner Schulter landete und ihn beiseite schob.
    Buenaventure stand hinter ihm, als wäre er geradewegs aus dem Pflaster emporgewachsen.
    »Weg hier!«, sagte der Pitbullmann. »Kenndricks Kopfgeldjäger sind hinter uns her!«
    Jolly und Munk blieb der letzte Rest Gelächter im Halse stecken, als ihnen klar wurde, wie ernst es ihm damit war.
    »Sie suchen uns«, sagte Buenaventure. »Überall!«
    Walker erschien neben ihm. »Worauf wartet ihr noch?«
    Gleich darauf kam Soledad dazu, das schweißnasse Haar in Strähnen am Gesicht festgeklebt, einen gehetzten Ausdruck in den Augen.
    »Lauft!«, brüllte sie.
    Jolly packte Munk bei der Hand, und gemeinsam rannten sie los.
    Am Ende der schmalen Sackgasse lag der Eingang einer Taverne.
    Ein handgeschriebenes Schild in lausiger Rechtschreibung erklärte, aufgrund »gewiser Forfelle« am Vortag bleibe die Schänke heute wegen Aufräumarb eiten geschlossen.
    Da die Gasse keinen anderen Ausgang hatte und Walker davor warnte, zurückzugehen und ein anderes Versteck zu suchen, hob Buenaventure die Hand und pochte lautstark gegen das Holz der

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