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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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brannte.
    Es sah aus, als hätte ihr jemand einen Mantel aus Flammen umgelegt. Mannshoch loderte das Feuer um ihren hölzernen Leib. Ihr Kopf war in einer grüngelben Lohe verschwunden, nur dann und wann schimmerte ihr kohlschwarzes Gesicht durch die Glut. Die leeren Augen blickten anklagend, fast vorwurfsvoll.
    Die Stimme des Orakels war verstummt. Männer und Frauen liefen aufgebracht an den Anlegestellen umher, mehrere Eimerketten hatten sich gebildet, um zu verhindern, dass die Flammen auf benachbarte Schiffe übergriffen. Das Wrack selbst war nicht mehr zu retten.
    Jolly und die anderen waren das letzte Stück gerannt, in der Befürchtung, Kenndricks Kopfgeldjägern sei es gelungen, die Carfax in Brand zu stecken. Doch als sie aus einer Gasse hinaus auf den Kai bogen, sahen sie Walkers Schiff unversehrt in der Dunkelheit liegen. Falls tatsächlich jemand versucht hatte, die Carfax anzugreifen, hatten die Geister die Attacke abgewehrt. Im Augenblick sah dort alles friedlich aus.
    Als Jolly im Gewimmel rund um die brennende Galionsfigur zum Stehen kam und mit tränenden Augen durch Rauch und Feuer blinzelte, entdeckte sie Bill, den zornigen Seemann von vorhin, der von mehreren Männern zu Boden gepresst und gefesselt wurde.
    »Ist er das gewesen?«, fragte sie einen der Piraten.
    Der Mann nickte verbissen. »Hat ihr eine Öllampe an den Kopf geworfen, der Dreckskerl!«
    »Sie ist schuld!«, kreischte Bill und wehrte sich verzweifelt gegen jene, die ihn festhielten. »Sie ist -«
    Ein Faustschlag brachte ihn zum Schweigen.
    »Hängt ihn auf!«, brüllte eine Frau.
    »Verbrennt ihn!«, rief eine andere.
    Mehrere Piraten rotteten sich zusammen und sahen aus, als wollten sie der Aufforderung nachkommen. Dann aber erschien ein Trupp uniformierter Franzosen, die zum Fort oberhalb der Stadt gehörten, und führten den Brandstifter ab. Einen Augenblick lang machten einige Piraten Anstalten, die Soldaten zur Herausgabe des Übeltäters zu zwingen, dann aber siegte die Vernunft: Die französische Besatzung von Tortuga tolerierte das Treiben der Piraten, solange diese ihre Abgaben zahlten; es wäre dumm gewesen, eine so lukrative Zusammenarbeit wegen eines brennenden Schiffswracks aufs Spiel zu setzen.
    »Zur Carfax!«, rief der Geisterhändler den anderen zu. »Das ist eine gute Gelegenheit, ohne Aufsehen von hier zu verschwinden!«
    Alle bis auf Jolly schlossen sich ihm an. Niedergeschlagen blieb sie stehen und starrte in das Feuer, vorbei an den Eimerketten. Wieder eine Gelegenheit weniger, etwas über Bannons Schicksal herauszufinden.
    Der lodernde Bug des Wracks stand wie eine Pyramide aus Feuer über dem Wasser. Schmerzhaft schlug Jolly die Hitze entgegen. Um sie herum waberte die Luft.
    Sie lief vor bis zur Wasserkante. Jemand rannte sie fast um, vergoss dabei einen halben Eimer und brüllte sie an, gefälligst zu verschwinden oder mitzuhelfen. Jolly achtete nicht darauf. Stattdessen blickte sie hinab ins Hafenbecken, dorthin, wo die feurig schimmernden Wellen unter einem Ring aus dunklem Qualm verschwanden.
    Dort unten war etwas im Wasser.
    Etwas, das sich bewegte.
    Es war nicht ganz so lang wie ihr Arm, hell und haarlos wie ein Neugeborenes, und es krümmte und streckte sich im Wasser, als versuchte es verzweifelt, an der Oberfläche zu bleiben. Aber Rauch und Feuerglanz verschleierten Jollys Sicht, und sie war nicht sicher, ob der Anblick trog. Vielleicht trieb da nur ein Trümmerstück.
    Und doch, es war etwas Lebendiges. Etwas, das zu ertrinken drohte, wenn sie ihm nicht zu Hilfe kam.
    Jolly schaute kurz über die Schulter, sah, dass ihre Gefährten stehen geblieben waren, hörte Munk und Griffin gleichzeitig ihren Namen rufen - dann sprang sie vom Kai hinab aufs Wasser.
    Der Aufprall auf den Wogen war hart und schmerzte in ihren Knien, aber er warf sie nicht von den Füßen. Sofort rannte sie los und hoffte inständig, dass die Menschen am Ufer zu beschäftigt waren, um sie zu bemerken.
    Mit eiligen Schritten näherte sie sich dem Ding im Wasser. Die Hitze war hier unten noch schlimmer, staute sich zwischen dem brennenden Wrack und der Hafenmauer. Funken wehten in goldenen Schwärmen durch die Nacht, prallten gegen das Nachbarschiff, verglühten aber, ohne weitere Feuer zu entzünden. Besatzungsmitglieder standen hinter der Reling und kippten eimerweise Wasser am Rumpf hinab. Ein Mann entdeckte Jolly und brüllte seinen Kameraden etwas zu.
    Sie achtete nicht darauf und lief weiter.
    Eines erkannte sie jetzt mit

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