Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
Vom Netzwerk:
sonst für dumm halten würde, denn jemand wie er, der noch nie Probleme in seinem Leben hatte, könne das nicht verstehen. Aber obwohl ich ihr versprach, den Mund zu halten, rannte ich schnurstracks nach oben und erzählte es Johnson junior, zur Sicherheit.
    »Oh, da haben wir ja alle nötigen Elemente für eine wahre Tragödie«, sagte er.
    »Natascha zieht auch in Erwägung, täglich neun Tropfen Lexotan einzunehmen, weil sie sonst den Gedanken, dass es zu einer Begegnung zwischen mir und ihrem Verlobten kommen könnte, nicht erträgt.«
    »Wieso nimmt sie nicht gleich neunzig Tropfen, und zwar zu Hause im Bett?«
    Aber Gott sei Dank ging er nicht wieder in die Luft, sondern hörte sich in Ruhe meinen Plan an: Ich würde erzählen, dass sich der Zustand meiner Mama plötzlich verschlechtert habe und ich für ein paar Tage in mein Dorf fahren müsse, sodass Natascha beruhigt mit ihrem Verlobten zu dem Konzert reisen konnte.
    »Dann werden wir alle außer dir dort sein. Auch Omar, der zurzeit in Cagliari ist, fliegt mit mir nach Paris zurück. Ich hatte mich so darauf gefreut, endlich einmal meine liebsten Menschen zusammenbringen zu können.«
    »Ich kann Natascha unmöglich noch mehr Kummer bereiten.«
    »Und deswegen willst du dir Paris entgehen lassen?«
    »Irgendwann werde ich schon mal hinkommen.«
    »Paris würde dir gefallen. Du würdest es lieben.«
    »Mehr als Cagliari?«
    »Mehr als alle anderen Städte.«
    »Mir reicht es, dass du das denkst. Denn wenn sich jemand sicher ist, dass jemand anderem etwas gefällt, bedeutet es, dass er ihn gut kennt. Aber es gibt noch ein Problem.«
    »Was denn?«
    »Anna verbirgt ihr wahres Alter.«
    »Annina? Und selbst wenn unsere Annina noch keine sechzehn wäre, was machte das schon! Außerdem, was hat das mit dem Konzert zu tun?«
    »Weil sie sich während der Reise vielleicht irgendwann ausweisen muss. Was, wenn dein Vater Annas Ausweis sieht?«
    »Mein Vater?«
    »Das ist durchaus möglich. Anna hatte noch nicht den Mut, dir zu sagen, dass sie älter ist, als sie sich gibt. Sonst vertraut sie dir alles an, aber dir das zu sagen, hat sie nicht übers Herz gebracht.«
    »Wie alt ist sie denn?«
    »Fünfundsechzig.«
    »Damit ist sie ja immer noch jünger als Papa. Und was hat sie zu ihm gesagt, wie alt sie ist?«
    »Fünfundfünfzig. Sie hat sogar ihre Halskette abgenommen, auf der ihr Geburtsdatum eingraviert ist.«
    »Und wozu das alles?«
    »Damit dein Vater glaubt, er habe sich eine viel Jüngere genommen, und nicht eine, die nur unwesentlich jünger ist als er.«
    »Sag mal, könnt ihr euch zur Abwechslung auch mal etwas Normales einfallen lassen?«
    »Warum sprichst du im Plural? Ich habe damit nichts zu tun. Ich bin normal.«

    Johnson senior, der sonst immer aussieht, als würde er sich den Bart mit einem stumpfen Messer absäbeln, ging eigens für das Konzert zum Friseur. Anna brachte sein costume in Ordnung, wie Johnson senior seinen Smoking in Anlehnung ans Französische nennt. Als Anna ihn fragte, warum um Himmels willen er den Smoking costume nenne, meinte er, dass er sich bei Aufführungen immer wie ein Clown vorkomme, und Clowns trügen nun einmal ein Kostüm.
    Einen Tag vor der Abreise ging ich hinauf und sagte ihnen, dass ich wegen eines Notfalls dringend in mein Dorf fahren müsse. Außer Johnson junior wusste niemand, dass es eine Notlüge war. Während ich am nächsten Tag hinter dem halb geschlossenen Fensterladen stand und zusah, wie sie nach und nach aus dem Haus traten, kamen mir die Tränen. Nur ich blieb zurück, wie Aschenputtel mit der Asche. Zuerst stieg Giovannino vom oberen Stock herunter, pünktlich auf die Minute, bestimmt hatte er vor der Kuckucksuhr gestanden und gewartet, bis der Vogel erschien. Danntraten Johnson senior und Johnson junior heraus, der einen letzten Kontrollblick auf das Gepäck warf und seinem Vater ein paar Fusseln von seinem Jackett klaubte. Und zum Schluss kamen in ihren schillernden Kreationen aus Farben und Blumen und Tupfen und Karos Annina und Natascha aus dem Buckingham Palace. Unten im Hof warteten bereits zwei junge Männer, von denen einer, wie ich wusste, Nataschas Verlobter war und der andere Omar, der Freund aus Paris. Ich nahm beide in Augenschein, und auch wenn ich aus der Ferne keine Details ausmachen konnte, war deutlich zu erkennen, dass einer der beiden recht hässlich war – mit seiner dunklen Haut und den tiefen Furchen im Gesicht hätte man ihn glatt für eine Art prähistorischen Boxer halten

Weitere Kostenlose Bücher