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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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bitte!«
    Es ist immer und überall so: Das Nahrungsangebot für menschliche Weiße Haie ist einfach zu groß. Ich mache das Maul auf und zack, schon ist was drin. Wenn das dem Weißen Hai passieren würde: Einfach so durchs Meer zu schwimmen, Maul auf und die Robben schwimmen rein, sähe dieser elegante Raubfisch auch anders aus. Vermutlich mehr so wie ich. Mit Bauch.
    Und er hätte Schmerzen. Vermutlich an der Rückenflosse.
    Obstdiät
    Hab ichs schon erwähnt? Ja, hab ich schon: Ich habe meinem Bauch den Krieg erklärt. Endgültig. In einer ruhigen Minute, als wir zwei gemeinsam auf dem Sofa fläzten, eröffnete ich ihm, was in den nächsten Monaten geschehen würde:
    »Großer, ehrwürdig fetter Bauch, der du mich seit beinahe zwei Jahrzehnten treu begleitest, es naht die Zeit der Trennung. Ich werde dich nicht mehr ernähren. Ich werde mich nicht, nur um dir zu dienen, durch das Burger-Angebot fressen, und ich werde keinen Kuchen mehr anrühren, nicht einmal, wenn er aus Schoko ist. Es wird eine harte Zeit für dich, du wirst kleiner und kleiner werden und irgendwann ganz verschwinden. Es tut mir leid für dich, aber es muss sein.«
    Mein Bauch antwortete mit einem durchdringenden Glucksen. Ich interpretierte das als Lachen, und eine leise innere Stimme sagte: »Na, John, jetzt noch naiv geworden auf deine alten Tage?«
    Ich kenne meinen Bauch und die mit ihm verbrüderte innere Stimme. Sie versuchen es immer wieder, aber diesmal hörte ich an der Art des Glucksens und an der Stimme in meinem Kopf: Sie waren sich nicht so wirklich sicher, ob ich es nicht doch ernst meine. Dazu hatten sie allen Grund, denn schon am nächsten Tag stand meine erste Diät an: die Obstdiät.

    Obst, weil ich mich dunkel daran erinnern konnte, dass ich als Kind recht gern Obst gegessen habe. Obst in Form von Äpfeln, Bananen, Pfirsichen und was es sonst noch so gab, was nicht in Ställen gezüchtet wurde.
    Also beschloss ich, eine Obstdiät zu machen. Das bedeutete: Eine Woche lang wollte ich nur Obst zu mir nehmen. Dreimal am Tag frisches Obst.

    Der erste Tag war ein Kinderspiel. Ich bereitete mir einen Teller mit Kiwis, Blaubeeren, Erdbeeren, Bananen und Weintrauben zu. Ich aß und dachte: Wow! Das schmeckt ja so was von genial! Nichts gegen einen guten Burger oder belgische Pommes, aber das hier, das ist das pure Geschmackserlebnis! Und nicht mal fettig. Es kam mir vor, als hätte ich soeben meine Geschmacksnerven entdeckt. Es war grandios, aber auch verwirrend. Jahrelang war meine Zunge nur mit fettigem Fleisch und Tiefkühlpommes in Berührung gekommen, und jetzt auf einmal – Kiwi und Banane. Ich aß mit geschlossenen Augen, und meine Geschmacksnerven mussten raten, was gerade über die Zunge in Richtung Rachen wanderte.
    »Banane?«
    »Richtig!«
    »Kiwi?«
    »Falsch, Mango!«
    »Kenn ich nicht.«
    Auch die Nerven haben mitgespielt: Erst voller Begeisterung, dann von Tag zu Tag etwas weniger euphorisch. Das Schwierige bei solchen Mono-Diäten ist nämlich, die Begeisterung hochzuhalten. Meine Freundin Linda, die wenig von Mono-Diäten hält, hatte mich schon vorher gewarnt.
    »Pass auf, John, dass du nicht nach vier oder fünf Tagen regelrechte Aggressionen gegenüber dem Obst entwickelst. Du wärst nicht der Erste, der durchdreht, wenn er vor der fünfzehnten Obstschüssel sitzt.«

    Ihre Bedenken kamen mir kindisch vor: Wieso sollte ich durchdrehen? Wegen Obst? Quatsch. Niemals, ich bin doch kein Idiot. Am dritten Tag war es dann so weit, ich saß vor einer neuen Obstschüsselvariante: Ananas, Mango, Kirsche gemischt mit dem Saft und den Kernen einer frischen Maracuja (manche sagen auch »Passionsfrucht«, aber ich bin Agnostiker).
    Ich saß also da, starrte auf meine Schüssel und begann zu zittern. Vor meinen Augen verschwamm das kleingeschnittene Obst. Für einen kurzen Moment nahm es die Gestalt von »Züricher Geschnetzeltem« an. Doch der erste Löffel katapultierte mich zurück in die Realität frischen Obstes. Erschwerend kam hinzu, dass meine Frau und unser Sohn zwei Tage bei der Schwiegermutter in Berlin (Currywurst!) verbrachten, dann hungrig aus dem Zug gestiegen sind und sich beim nächstbesten Fastfood-Dealer Schnitzel mit Pommes besorgt hatten. Nun saßen sie mit mir am Tisch und fraßen wie die Schweine Schwein. Aber ich blieb stark. Ich konzentrierte mich auf meinen appetitlichen Obstsalat, starrte ihn an, als wollte ich die Ananas hypnotisieren: »Schau mir in die Augen. Schau mir tief in die Augen. Und

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