Die Weltenwanderer
gewährt wurde, überraschte ihn, denn auch auf Rhanmarú war längst die Zeit der Ruhe und des Schlafens angebrochen.
Nur unwesentlich später landete er im Reiseraum des Weißen Turms, der Heim des Ordens der Bewahrerinnen war.
Eine Novizin, wie er an ihrer bodenlangen, hellgrünen Kapuzentracht erkannte, wartete auf einer gepolsterten Bank. Bei seinem Erscheinen erhob sie sich sofort und knickste. »Ringlord van Rhyn, die Mutter Oberin erwartet Euch. Ihr kennt den Weg, nicht wahr?«
»Wenn der immer noch durch die Ahnengalerie und dann die Wendeltreppe hinaufführt, ja. Ich entschuldige mich für meinen späten Besuch und wünsche erholsame Ruhe. Sie müssen nicht auf mich warten. Ich finde allein hinaus.«
Die junge Frau nickte errötend und knickste erneut. »Dann darf ich mich verabschieden. Mögen die ehrenvollen Traditionen Rhanmarús Euch stets den richtigen Weg weisen!«
»Ja, das wäre nicht verkehrt«, gab Aeneas lächelnd zurück.
Er verließ den Raum und ging durch die Galerie, schenkte dabei den Hologrammen der Ahnen der Mutter Oberin nicht die geringste Beachtung. Vor der Wendeltreppe stieß er die Luft aus. Dafür, dass die Oberin ihr Audienzzimmer in die Turmspitze gelegt hatte, konnte es nur einen Grund geben: Sie liebte es, wenn Besucher nach Luft rangen und kaum noch einen Ton herausbringen konnten.
Er wusste, dass es einen magischen Lift gab, den die Oberin selbst benutzte. Er besaß die Magie, ihn zu benutzen, aber nicht den Mut.
Unzählige Kämpfe hatte er ausgefochten. Leicht zu beeindrucken war er nicht. Die Frau jedoch, die er jetzt treffen wollte, gehörte in eine eigene Kategorie. Sie galt nicht nur als mächtigste Magierin Rhanmarús, sie war seiner Meinung nach auch die bösartigste.
Mit einem flauen Gefühl im Magen erklomm er Stufe für Stufe.
Schließlich stand er vor einer Flügeltür aus weißem Metall, die schwarze Reliefs von Greifen schmückten.
Er atmete tief durch, drückte die Türflügel auf und betrat einen weißglitzernden Raum, der von Leuchtkugeln, die unter der Decke schwebten, erhellt wurde.
Einziges Möbelstück war ein geradezu monströser Thron aus glänzendem, schwarzem Stein. Beine und Armlehnen waren Löwenpranken nachempfunden, die hohe Rückenlehne zierte ein gewaltiger Adlerkopf. Die Schwingen zu beiden Seiten deuteten ebenfalls darauf hin, dass hier nicht etwa die irdische Raubkatze, sondern ebenfalls ein Greif dargestellt werden sollte.
Auf dem in seinen Augen ausgesprochen hässlichen Ungetüm saß kerzengerade eine zierliche, alte Frau gewandet in ein langes, tiefrotes Gewand. Um den Hals trug sie die Kette mit dem »Seelensplitter«, einem grünen Edelstein, der zu flackern schien. Ihr Haar war unter einer roten Haube versteckt, die bis zu den Schultern reichte. Eine Hand umklammerte den Knauf eines knotigen Stocks, ihre braunen Augen waren zusammengekniffen.
Rechts und links von ihr lagerten zwei riesige, graue Wolfshunde und bleckten sofort ihre Zähne.
Aeneas warf ihnen nur einen kurzen Blick zu, durchmaß mit wenigen Schritten den Raum, sank auf ein Knie und küsste die dargebotene Hand. »Ehrwürdige Mutter Oberin, ich grüße Euch und danke Euch dafür, dass Ihr mich trotz der späten Stunde empfangt.«
Sie lachte auf, dass es mehr wie ein Krächzen klang. »Pure Neugier! Ich hätte nie erwartet, dich noch einmal hier zu sehen.«
Er zuckte die Achseln. »Ich, ehrlich gesagt, auch nicht.«
Erneut erklang ihr rabenähnliches Gelächter. »Du darfst dich erheben.«
Aeneas stand auf und verbeugte sich tief. »Ehrwürdige Mutter Oberin, ich bin hier wegen einer Auskunft in einer lebenswichtigen Angelegenheit. Es ...«
»Dass du nur in höchster Not zu mir kommst, musst du mir nicht sagen«, unterbrach sie ihn.
Die Wolfshunde knurrten wie auf ein geheimes Kommando und gingen in Angriffsstellung.
Der Ringlord hätte sie betäuben oder töten können, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er tat es nicht, sondern blieb stehen und wartete ab.
»Hatte ich die schon beim letzten Mal? Du bist so ruhig.« Die Alte schien sich zu amüsieren.
Er warf ihr einen müden Blick zu. »Beim letzten Mal waren es Kralidas. Wird das nicht irgendwann langweilig?«
Die Wolfshunde kamen langsam mit vorgestrecktem Kopf näher.
»Im Turm gelten meine Regeln. Ich überprüfe deren Einhaltung, bevor ich zu Gesprächen bereit bin. Willst du deine Magie gar nicht einsetzen?«, fragte die Mutter Oberin.
»Nein! Ich halte mich an deine Regeln. Ich bin
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