Die Weltenwanderer
dir gar nichts anfangen.« Sie reichte ihm ein Taschentuch. »Verbinde deinen Arm, bevor du mir den Boden beschmutzt. Wenn ich dich heilen muss, sag Bescheid!«
Aeneas verdrehte nur die Augen. Er knüpfte mit Hand und Mund das Tuch um die Bisswunde und folgte ihr scheinbar mitten durch die Wand in ein Gewölbe, das hinter dem Thron lag. In der Mitte stand ein Podest, über dem in einer milchigen Aura eine grün schimmernde Kristallkugel schwebte.
»Wie heißt das Kind?«, fragte sie, während sie den Edelstein an ihrer Kette in die Kugel schob.
»Ich weiß es nicht. Erik Haiden ist der einzige Name, den ich habe. Es dürfte nicht der richtige sein. Ich kann dir den Jungen zeigen, wenn du mir gestattest, Magie anzuwenden.«
Es war nicht nötig: Eriks Bild erschien bereits in der Kugel.
»Oh, ja, er ist in Gefahr. Seine Aura ist schwarz.« Die Alte umklammerte die Kugel, schloss die Augen und ihre Stimme wurde dunkel. »Er hatte eine wechselhafte Vergangenheit. Fremde haben sich seiner angenommen. Seine Familie - ich kann sie nicht sehen.«
Sie rieb die Kugel intensiver und sprach wie in Trance weiter: »Ein Verbotenes Kind ... der Vater Rhan, die Mutter Marú! Ein Verbotenes Kind. Ich sehe Feuer, Unglück, Sterben, ich höre Schreie, ich rieche Tod. Ich sehe den Widersacher nicht. Ich sehe Rauch und ich sehe Feuer. Er war im Feuer, er war dabei, der Feind war im Feuer und er ist im Feuer. Ich kann ihn nicht erkennen ... nicht erkennen.«
Ihre Hände glitten von der Kugel. Sie öffnete die Augen wieder, wandte sich abrupt zu Aeneas um, schubste ihn aus dem Raum und setzte sich wieder auf ihren Thron.
»Es tut mir leid, ich kann nicht mehr sehen. Geheimnisse liegen wie Nebel über diesem Kind. Du musst jemanden finden, der bei dem großen Feuer vor langer Zeit zugegen war. ... Aeneas van Rhyn?«
Der war tief in Gedanken versunken, antwortete nicht und spürte einen schmerzhaften Stockhieb auf seiner Schulter.
Der Stock der Oberin schwebte zu ihr zurück.
»Kein Blut! Lässt deine Kraft langsam nach?«, fragte er mit einem Zwinkern.
»Werde nicht unverschämt!« Ihre Stimme klang durchaus freundlich.
Er fragte weiter: »Was weißt du über meinen Vorgänger?«
Sie musste nur kurz überlegen. »Duncan von Gandar, ein eingebildeter Fatzke! Hat sich in ein Marú-Weibchen verguckt und geglaubt, man würde einem Ringlord alles durchgehen lassen. Vor dem Tribunal hat er sich von ihr losgesagt. So ersparte man ihm den Turm und verbannte ihn auf die Erde.« Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. »Dahin, wo du jetzt lebst.«
Aeneas sah sie nach wie vor nachdenklich an. »Was geschah mit der Frau?«
Die Oberin stieß einen empörten Laut aus. »Woher soll ich das wissen? Marú interessierten mich nie.«
»Wann war der Prozess? Ich kann mich gar nicht daran erinnern.«
»Kein Wunder! Wie alt warst du damals? Höchstens zehn! Siebzehn, achtzehn Jahre ist das wohl her!«
»Erik ist fünfzehn. Könnte es sein, dass von Gandar seine Marúfrau zur Erde geholt hat, und Erik ihr gemeinsamer Sohn ist?«
»Dann müsste er seinen Schwur gebrochen haben.« Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Zuzutrauen wäre ihm das. Auch gegen seine Berufung habe ich mich seinerzeit ausgesprochen. Er passte sich unseren Regeln so ungern und ungut an wie du.«
Aeneas überging erneut ihre Anspielung. »Selbst wenn Erik ihr Sohn ist, wer sollte ihm etwas antun wollen? Ich kann das nicht verstehen. Ich meine, das alles ist doch schließlich viele Jahre her.«
Das Gesicht der Oberin wurde ernst. »Ich weiß es nicht. Aber wer oder was auch immer dieser Junge ist, eins habe ich deutlich gespürt: Seine Zukunft scheint auf seltsame Weise mit deiner verbunden zu sein. Ich habe Gefahr und Leid gesehen – für den Jungen und durch den Jungen auch für dich. Ich konnte nichts Genaueres erkennen. Euer Schicksal ist noch zu ungewiss, doch euer beider Leben ist in Gefahr. Überlege gut, was du tust!«
»Das werde ich. Habt Dank, Ehrwürdige Mutter.« Der Ringlord verneigte sich tief und wandte sich zum Gehen.
»Aeneas.«
Die leise Stimme ließ ihn sich wieder umdrehen.
»Nimm die Sache nicht zu leicht! Ich habe starke Magie gespürt. Der Gegner ist mächtig, mächtiger vielleicht, als du denkst, vielleicht zu mächtig für dich. Und er ist nah. Pass auf den Jungen auf und pass auch auf dich auf. Komm zu mir, wenn du Hilfe benötigst! Ich werde dir immer helfen, wenn ich kann.«
Er nickte, ging zurück zur Oberin, ließ sich erneut auf
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