Die Weltgeschichte der Pflanzen
Versorgung mit Chinin.
Bereits um 1800 gab die BEC Jahr für Jahr etwa 100000 Pfund für den Import der Andenrinde aus, um wenigstens ihre eigenen Leute und etliche indische Untertanen vor der Malaria zu schützen. Man musste kleine Mengen Chinin zur Prophylaxe täglich einnehmen. Etwa um die Zeit hatte Joseph Banks, der Leiter der Botanischen Gärten von Kew Gardens in London, der bedeutendsten botanischen Sammel- und Forschungsstätte ihrer Zeit, angeregt, Chinarindenbäume in andere Tropengegenden zu verpflanzen, was aber bislang unterblieben war. Übrigens verfolgten auch die in Indonesien ebenfalls kolonial engagierten Niederländer ähnliche Bestrebungen. Die Chinin-Versorgung war wirklich eine Überlebensfrage.
Clements Markham (1830-1916) war es schließlich, der während seiner Dienstzeit im India Office in den Jahren um 1860 die Überführung von Cinchona -Pflanzen gegen manche Widerstände wie etwa knappe Budgets von den Anden nach Indien bewerkstelligte. Markham, dessen Ruhm in England eher im Zusammenhang mitPolarexpeditionen steht, hatte bereits als junger Mann die Anden bereist. Sein Ziel war es auch, nach erfolgreicher Anpflanzung von Cinchona die Preise für das unentbehrliche Chinin drastisch zu senken, damit es für arme Leute erschwinglich wurde. Die Preissenkung gelang, doch angesichts der Lohnverhältnisse im 19. Jahrhundert waren sogar Viertelpennys für ein täglich einzunehmendes Vorbeugemittel für viele unerschwinglich.
Die Schweppes-Legende wiederum besagt, der begeisterte Zuspruch der britischen Kolonialbeamten zu der limonadigen »Malaria-Prophylaxe« habe dem Getränk zum weltweiten Durchbruch verholfen.
Übrigens verwendete Markham für den monatelangen unbeschadeten Transport der Pflanzen über so weite Entfernungen den 1830 erfundenen Ward’schen Kasten, eine Art Mini-Gewächshaus, der auch von den Pflanzenjägern des 19. Jahrhunderts (siehe das Kapitel »Orchideen«) immer wieder eingesetzt wurde.
Auch im Kongo wurden Chinarindenbäume angepflanzt, ebenfalls eine stark malariagefährdete Gegend.
Nun wurde indisch-britisches Chinin hauptsächlich innerhalb des British Empire verbraucht. Die Niederländer indes schufen mit Blick auf den europäischen Markt ein Handelskartell, Kina genannt. Kina kontrollierte bis weit in die Dreißigerjahre hinein praktisch den gesamten Weltmarkt für Chinin. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die weltweiten Chinarindenbaum-Bestände der einzige Rohstoff zur Chinin-Gewinnung. Die Produktion wurde einzelnen Ländern zugeteilt. Unter diesem Aspekt gewann die Suche nach einem synthetisch herstellbaren Ersatzstoff an Interesse.
Paul Ehrlich (1854-1915, Nobelpreis 1908), der mit dem Salvarsan nicht nur das erste wirksame Mittel gegen Syphilis entwickelt hatte, sondern damit das erste gezielt einsetzbare chemotherapeutische Medikament überhaupt, hatte eigentlich nach einem Mittel gegen Malaria gesucht. In dem sehr auf Autarkie bedachten wilhelminischen Reich waren die chemische Forschung und Industrie weltweit führend geworden. Man hatte entdeckt, dass man alles Mögliche aus Steinkohlenteer gewinnen konnte (zunächst vor allem die begehrten Farbstoffe) und setzte dies in erfolgreiche Produkte um. Die vielfältige Forschung wirkte sich auch im Bereich der Arzneimittel aus. Aspirin war 1897 das erste synthetische Arzneimittel überhaupt, Salvarsan folgte 1910. 1926, 1930 und 1934 standen in Deutschland die ersten, ständig verbesserten synthetischen Malariamittel zur Verfügung, namentlich das seit 1934 von IG Farben entwickelte Chloroquin, bis in die Neunzigerjahre das Mittel der Wahl. Erst während des Zweiten Weltkrieges also wurde die Chinin-Gewinnung aus dem Chinarindenbaum teilweise obsolet. 1941 begannen auch Großbritannien und die USA mit der synthetischen Produktion; für sie waren Medikamente gegen Malaria wegen der tropischen Kriegsschauplätze kriegsentscheidend.
Die größte Nachfrage nach Chinin kommt heute von der Getränkeindustrie, aber ganz aktuell doch auch wieder aus der Apotheke. Das relativ schlecht verträgliche Chinin ist inzwischen wieder zum wichtigsten Therapeutikum bei der importierten Malaria tropica geworden. Es wird verwendet, wenn andere Prophylaxemittel versagen, sowie zur Therapie der Chloroquin-resistenten Malaria in Europa (in Verbindung mit dem Antibiotikum Doxycyclin). In Thailand ist eine Abnahme der Wirksamkeit von Chinin bei schwerer Malaria festgestellt worden, die Chinindosierung ist dort schwierig wegen der
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