Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
bekräftigen.
Auch Buddha hielt nichts von derartigen zweifelhaften Beweisen – obwohl ihm die Überlieferung viele mirakulöse Schaueffekte
unterstellt. Man erzählt sich etwa, wie er nach seinem Nirwana-Erlebnis ins Vaterhaus zurückkehrte. Als seine Angehörigen
ihm den nötigen Respekt verweigerten, erhob sich der Erleuchtete vor ihren Augen in die Lüfte. Und bei einer späteren kontroversen
Diskussion soll Buddha seine Überlegenheit demonstriert haben, indem er sich multiplizierte. Feuer schlug ihm aus den Schultern,
und Wasserströme entquollen seinen Füßen. Solche und Hunderte ähnlicher Schauwunder haben die buddhistischen Künstler in Stein
festgehalten und für die Nachwelt verewigt. Die Gläubigen verehren diese Kunstwerke mit Blumenopfern, Räucherstäbchen und
Rezitationen. Wir sollen ihnen mit dem gebotenen Respekt begegnen, denn unsere reisende Seele braucht solche Wegweiser.
Siddharta findet eine Gegenwelt, das Nirwana
Zurück zum jungen Siddharta Gautama, dem künftigen Buddha unserer Weltzeit. Auf seinem Weg zur Erlösung war er mehrfach gescheitert
– bis er sich unter einen Baum setzte und trotzig schwor, erst dann von der Stelle zu weichen, wenn er sein Ziel erreicht
hatte. Nomen est Omen. Vergessen wir Karma und Samsara, vergessen wir auch den luxuriösen Wohlstand, den der wandernde Heilssucher
hinter sich ließ. Hier sitzt Siddharta, der 45 Jahre später von seinen Mönchen mit den Worten Abschied nehmen wird: »Ohne
Unterlass müsst ihr kämpfen!« Da fordert einer die Welt heraus, ein junger Mann aus dem Kriegeradel, ein Vorläufer der japanischen
Samurai.
|51| In einer Sutra-Erzählung, einer jener indischen Lehrreden, die das Leben und die Botschaft Buddhas überliefert haben, liest
sich das so: »Ich war verwöhnt, sehr verwöhnt. Ich salbte mich nur mit kostbarem Öl und kleidete mich in kostbares Tuch. Tag
und Nacht war ein weißer Sonnenschirm über mich gespannt. Einen Palast hatte ich für den Winter, einen für den Sommer und
einen für die Regenzeit. In den vier Monaten des Regens verließ ich den Palast überhaupt nicht und war von Tänzerinnen umgeben.
Obschon ich so sehr verwöhnt war, kam mir doch der Gedanke: Wenn auch der normale Mensch dem Alter, der Krankheit, dem Tod
unterworfen ist, erschüttert es ihn doch, wenn er alte, kranke, tote Menschen erblickt. Auch mir geht es so, und das ist meiner
nicht würdig! Bei diesem Gedanken verlor ich die Freude an Jugend, Gesundheit und dem Leben. Da sagte ich: Alter, Krankheit
und Tod sehe ich vor mir, ich sollte nach dem Nirwana suchen, das frei von solchen Übeln ist, nach dem höchsten Frieden! Als
schwarzhaariger junger Mann schor ich mir Bart und Haar, legte das Gewand der Asketen an und begab mich aus dem Haus in die
Hauslosigkeit, obwohl meine Eltern weinten. ... Als ich den Heilsweg suchte, gelangte ich bei meinen Wanderungen durch das
Reich Magadha schließlich nach Uruvela. Da sagte ich mir: Hier ist es gut, der Wald ist nah, ein heller Fluss mit freundlichen
Ufern fließt dort, und ringsum sind Dörfer, wo ich um Nahrung bitten kann. Das ist der rechte Platz für einen jungen Mann
aus adeligem Haus, der nach dem Höchsten ringt. ...
Doch auch durch Selbstquälung und Kasteiung erreichte ich kein höheres übermenschliches Wissen. Da begann ich mich zu fragen,
ob es nicht einen anderen Weg gibt, der zur Erleuchtung führt. Und ich erinnerte mich, wie ich früher im Vaterhaus unter dem
Schatten eines Rosenapfelbaums, frei von allen Wünschen und begehrlichen Anwandlungen, zum ersten Mal einen Versenkungszustand
erlebte hatte. Dies ist der Weg zur Erleuchtung! sagte ich mir. ...
Als ich mein Denken gesammelt, geläutert, flexibel und folgsam gemacht hatte, richtete ich es, mich erinnernd, auf die Wahrnehmung
meiner vergangenen Lebensläufe. Ich erinnerte mich an eine, an zwei ... schließlich an Hunderttausende meiner Vorgeburten,
an viele Perioden der Weltzerstörung und Weltentstehung. Und ich wusste: Da lebte ich, diesen Namen trug ich, das war damals
meine Kaste, mein Beruf, dieses und jenes erfuhr ich an Freud und Leid und trat, geprägt von meinen bisherigen Vorleben, nach
jedem Tod aufs Neue wieder ins Leben. Dies war das erste Wissen, das ich in der ersten Nachtwache erreichte. ...
Darauf richtete ich meine Wahrnehmung auf die Erkenntnis des Abscheidens und der Wiederentstehung. Und sah mit göttlichem
Auge, wie alle Lebewesen |52| sterben und
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