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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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womitman beschäftigt war, man musste einfach innehalten und aufhorchen – es gab kein Entkommen. Einmal stand der lockige Milchmann vor der Tür, um sein Geld abzuholen; Doro machte im Bademantel auf und suchte nach Kleingeld, als er plötzlich die Ohren spitzte. Ihre Blicke trafen sich. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht und er sah sie fragend an.
    »Sie hat Tbc«, erklärte Doro. »Sie hustet ständig so. Wahrscheinlich stirbt sie bald. Wirklich tragisch.« Und schlug die Tür zu.
    Die Kinder waren natürlich neugierig, und Nick erklärte, die Geräusche bedeuteten, dass Moira sehr glücklich sei. Dies wurde wenig später von zwei Vertreterinnen der »Frauen gegen Zechenschließungen« bestätigt, die vorbeikamen, um Spenden für die kürzlich im Gemeindesaal eingerichtete Suppenküche zu sammeln. Doro lud sie auf eine Tasse Tee ein. Vorsichtig traten sie ins Haus, wichen dem Gerümpel im Flur aus, betrachteten neugierig die Plakate an den Wänden (»Die Tränen der Spießbürger sind der Nektar der Götter«) und schnüffelten die nach Linsen riechende Luft. Eng aneinandergedrängt folgten sie Doro durch den langen dunklen Gang in die Küche, wo Clara und Serge am Tisch, der seit gestern Abend nicht abgeräumt worden war, Erdnussbutter und Cornflakes aßen. Als sie sich setzten und Doro Teewasser aufsetzte, fingen plötzlich die Balken über ihnen zu knarren an und Moiras Freude war nicht zu überhören.
    »Donnerwetter, die klingt glücklich. Der muss wohl ’ne gute Fee erschienen sein«, bemerkte die Jüngere, die Janey hieß.
    »Kann man sich den ausleihen?«, fragte die Ältere, die June hieß und eine verrauchte Stimme und ein schlaffes, faltiges Gesicht hatte.
    »Ja«, sagte Doro, »aber die Warteliste ist lang.«
    Sie tauschten einen kurzen Blick.
    Janey fragte: »Wollt ihr in der Suppenküche helfen?«
    »Klar«, sagte Doro.
    »Dann bringt ihn doch mit«, meinte June und ließ zwei Reihen unregelmäßiger perlmuttfarbener Zähne aufblitzen.
    Ein andermal waren es die Zeugen Jehovas.
    »Sie ist von einem Dämon besessen, den wir ihr auszutreiben versuchen ...«, begann Doro, doch die beiden blieben nicht lange genug, um sich ihre Erklärung anzuhören.
    Vielleicht war es der Milchmann, oder June und Janey, oder sogar die Zeugen Jehovas, jedenfalls machte es die Runde im Dorf, und plötzlich hatten sie einen steten Strom von Besuchern, männlichen und weiblichen, die unter irgendeinem Vorwand klingelten und versuchten, durch die offene Tür ins Haus zu spähen. In jenen Wochen des Bergarbeiterstreiks kam immer jemand vorbei, um Benzingeld für die Streikposten oder Spenden für die Suppenküche zu sammeln, wo die Bergarbeiter und ihre Familien wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag bekamen. Die Kommunenmitglieder waren begeistert, endlich Kontakte zur örtlichen Gemeinde zu knüpfen, die bis dahin nur wenig Interesse am marxistischen Studienzentrum oder der Diskussionsrunde zum Antikolonialismus gezeigt hatte.
    Bruno war hocherfreut, als Doro ihm ausrichtete, dass ihn die Frauen im Dorf eingeladen hatten, als Freiwilliger in der Küche zu arbeiten.
    »Sie wollen italienische Küche probieren?«
    »Hm ... ich glaube, ja«, sagte Doro.
    Moira war weniger erfreut. An der Streikpostenkette in Askern hatte sie ziemlich Eindruck gemacht mit ihrem flammenden Haar und ihren interessanten Slogans (»Bergarbeiter sind die Hebammen des Sozialismus!«), mit denen sie aus den Reihen der Streikposten verwirrte, aber bewundernde Blicke auf sich zog.
    »Mich haben sie schon alles Mögliche genannt«, erklärte Jimmy Darkins, Kreisvorsitzender der Bergarbeitergewerkschaft, »aber noch nie Hebamme. Ich werd mal drüber nachdenken.«
    Moira genoss die männliche Aufmerksamkeit aus vollen Zügen, das war klar. Sie und Bruno kamen jedes Mal wie berauscht vom Streikdienst zurück, warfen sich auf die Matratze und machten lautstark Liebe. Es war schrecklich.
    Jetzt musste sich Moira entscheiden, ob sie ihre Zeit lieber mit einer Horde Frauen bei langweiliger Hausarbeit in epischem Ausmaß verbringen oder ihren Liebhaber allein auf diese hormonschwangere Umgebung loslassen wollte.
    »Die Rolle der Frau ist absolut entscheidend in diesem Kampf, Bruno«, sagte Doro.
    »Aber der wahre Kampf spielt sich an der Streikpostenkette ab«, flehte Moira.
    »Hm. Gramsci sagt, ist wichtig, in alle soziale Institutione contra-hegemoniale Positionen zu bauen.« Bruno zwirbelte die Gabel durch die Pasta.
    »Genau!«, rief Doro.
    Moira zuckte

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